Autograf: Lippische Landesbibliothek Detmold (D-DT), Sign. Mus-h 17 S 13
Druck: Otto von Meysenbug, „Beiträge zur Geschichte musikalischen und theatralischen Lebens in Detmold”, in: Mitteilungen aus der lippischen Geschichte und Landeskunde 3 (1905), S. 177-204, hier S. 193f.

Cassel den 31sten Juli
1856.

Hochgeehrter Herr Hofkapellmeister,

Zwischen den beiden dießjährigen Ferienreisen1 verweilte ich wieder ganz ruhig 14 Tage lang hier in meinem Gärtchen und benutzte diese Zeit zur Composition von noch 2 Liedern. Da ich von morgen an nun wieder ins Joch muß und im August wegen der täglichen Theatervorstellungen der Messe und für’s erste nun leider ohne Gehilfen2 nicht viel aus dem Theater herauskommen werde, so ist vor der Hand nicht daran zu denken, daß ich so bald wieder zur Arbeit komme. Ich sende Ihnen daher die zwei Lieder vorläufig und hoffe im September das 6te und letzte folgen lassen zu können. Von den bisherigen halte ich diese beyden für die besten und so wohl für den Sänger, wie den Geiger, dankbarsten! Doch ist das Lied3 „Erlkönig” nicht leicht vorzutragen wenn es die ganze Wirkung machen soll. Ich wünsche es in einem mäßigen Allegro, aber dann – die beyden ritard. bezeichneten Stellen ausgenommen – recht streng im Takt. Deshalb hat der Sänger die Schlußnoten der Perioden, wo es ohne Pause weiter geht, etwas abzukürzen und schnell, ohne sich aufzuhalten, neuen Athem zu schöpfen. Die Hauptwirkung beruht aber darauf, daß der Sänger die drei redenden Personen durch Veränderung des Stimmcharakters recht sondere, den Knaben mit gepreßter ängstlicher Stimme, den Vater mit beruhigendem Tone, und den Erlkönig lieblich und einschmeichelnd singen lasse. Dieß verlangt einige Übung und muß vom Geiger entsprechend unterstützt werden.
Das Braunschweiger4 Sängerfest fiel recht glänzend, aber in dem geselligen Zusammenseyn etwas sehr stürmisch aus5, wie Ihnen Herr Consistorials Rath Heinrichs wohl auch erzählt haben wird. Ein zweites in Wernigerode, dem ich auch beywohnte, war gemütlicher, weil nicht so überzahlreich besucht. Die sich daran knüpfenden Harzparthien waren von einem viel milderen und freundlicherem Wetter begünstigt als der Aufenthalt in Braunschweig.
Mit dem Wunsche, daß sich die neuen Lieder eines gleichen Beifalls Ihres durchlauchtigen Fürsten wie die frühern zu erfreuen haben mögen, unterzeichne ich Hochachtungsvoll ganz

der Ihrige
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Kiel, August
Erwähnte Personen: Heinrichs, Carl Friedrich Christoph
Leopold III. Lippe-Detmold, Fürst
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Lieder, Bar Vl Kl, op. 156
Erwähnte Orte: Braunschweig
Kassel
Wernigerode
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856073108

https://bit.ly/

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Kiel an Spohr, 12.07.1856. Kiel beantwortete diesen Brief am 27.08.1856.

[1] Den Tagebucheinträgen von Marianne Spohr folgend vom 20.06. - 03.07.1856 u.a. nach Dresden und Prag, dann vom 17. - 29.07.1856 zum Sängerfest nach Braunschweig.

[2] Spohrs Stellvertreter als Hofkapellmeister Jean Joseph Bott hatte kurz zuvor gekündigt (vgl. „Herr Capellmeister Bott in Cassel”, in: Signale für die musikalische Welt 14 (1856), S. 304).

[3] Den Tagebucheinträgen von Marianne Spohr folgend vom 20.06. - 03.07.1856 u.a. nach Dresden und Prag, dann vom 17. - 29.07.1856 zum Sängerfest nach Braunschweig.

[4] Hier gestrichen: „G”.

[5] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag, 20.07.1856.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.07.2016).

Hochgeehrter Herr Hofkapellmeister!
Zwischen den beiden diesjährigen Ferienreisen verweilte ich wieder ganz ruhig vierzehn Tage lang hier in meinem Gärtchen und benutzte diese Zeit zur Composition von noch 2 Liedern. Da ich von morgen an nun wieder ins Joch muß und im August wegen der täglichen Theatervorstellungen der Messe und für’s erste nun leider ohne Gehilfen nicht viel aus dem Theater herauskommen werde, so ist vor der Hand nicht daran zu denken, daß ich so bald wieder zur Arbeit komme. Ich sende Ihnen daher die zwei Lieder vorläufig und hoffe im September das 6te und letzte folgen lassen zu können. Von den bisherigen halte ich diese beiden für die besten und sowohl für den Sänger wie den Geiger dankbarsten! Doch ist das Lied Erlkönig nicht leicht vorzutragen wenn es die ganze Wirkung machen soll. Ich wünsche es in einem mäßigen Allegro, aber dann – die beiden ritard. bezeichneten Stellen ausgenommen – recht streng im Takt. Deshalb hat der Sänger die Schlußnoten der Perioden, wo es ohne Pause weiter geht, etwas abzukürzen und schnell, ohne sich aufzuhalten, neuen Athem zu schöpfen. Die Hauptwirkung beruht aber darauf, daß der Sänger die drei redenden Personen durch Veränderung des Stimmcharakters recht sondere, den Knaben mit gepreßter ängstlicher Stimme, den Vater mit beruhigendem Tone und den Erlkönig lieblich und einschmechelnd singen lasse. Dies verlangt einige Uebung und muß vom Geiger entsprechend unterstützt werden.
Das Braunschweiger Sängerfest fiel recht glänzend, aber in dem geselligen Zusammensein etwas sehr stürmisch aus wie Ihnen Herr Consistorialrath Heinrichs wohl auch erzählt haben wird. Ein zweites in Wernigerode, dem ich auch beiwohnte, war gemütlicher, weil nicht so überzahlreich besucht. Die sich daran knüpfenden Harzpartieen waren von einem viel mildern und freundlichern Wetter begünstigt als der Aufenthalt in Braunschweig.
Mit dem Wunsche, daß sich die neuen Lieder eines gleichen Beifalls Ihres Durchlaucht. Fürsten wie die frühern zu erfreuen haben mögen, unterzeichne ich Hochachtungsvoll ganz der Ihrige Louis Spohr.