Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Louis Spohr, Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 378 (teilweise)

Euer Wohlgeboren,
Hochgeehrter Herr General-Musick-Director und Hofkapellmeister!

Wenn ich mit Zittern und banger Besorgniß es wage, an Euer Wohlgeboren nachstehende Zeilen zu richten, so möge mein inniges Vertrauen auf die allbekannte Humanität und Herzensgüte Euer Wohlgeboren, sowie meine unbegränzte Verehrung und Begeisterung für Euer Wohlgeboren als den Hohenpriester der hehren Göttin der Tonkunst diesen meinen kühnen Schritt entschuldigen.
Vor Allem erlauben mir aber Euer Wohlgeboren den Beweggrund dieses Schrittes darlegen zu dürfen. –
Von früher Jugend an widmete ich die Mußestunden, welche ich nach meinen Berufsgeschäften erübrigte, mit Vorliebe und Begeisterung der Pflege der Musik und speziell des Violinspieles, und gab in Folge dessen seit einer Reihe von Jahren in meinem Hause ein stabiles Streichquartett, bei welchem drei ebenso begeisterte Verehrer der Kunst mich unterstützten. Allwochentlich finden wir uns nun an einem Abende zusammen, und schwelgen in dem hohen Genusse, den die geweihten Lieblinge der Muse Tonkunst mit ihren Schöpfungen uns bereiten. – Allerdings ist der Eindruck der Musik überhaupt mehr subjectiver Natur, weil ja ihr Element mehr das Gefühl, die Sprache der Seele ist, und der Ausdruck der innern Stimmung; und darin mag der Grund zu suchen sein, daß beinahe jeder Musikliebende seinen sogenannten Lieblings-Kompositeur hat. – Aus dem Munde unserer Quartett-Gesellschaft ertönt nun einstimmig nur der gefeierte Name „Spohr“, des Bestens der lebenden Komponisten, des letzten, lebenden Klassikers der Musik. Fürwahr Ihre herrlichen Schöpfungen, hochgeehrter Hofkapellmeister! sind lebende Monumente Ihres unsterblichen Geistes und Namens, und ihnen verdanken wir die schönsten Stunden, die ungetrübtesten, seligsten Genüsse unseres Lebens. Diesen unsern innigsten, tiefgefühltesten Dank Euer Wohlgeboren schriftlich auszudrücken, ist nun der Zweck dieser Zeilen, die Herr Hofkapellmeister nicht ungnädig aufnehmen wollen, da sie ja nur den Ausdruck unserer unbegränzten Verehrung und Dankbarkeit enthalten gegen Euer Wohlgeboren. – Als wir jüngstverflossenen Quartett-Abend das letzte herrliche Quartett No 32 Opus 146 Euer Wohlgeboren spielten, mit dem wunderbar ergreifenden Adagio in C moll, und dem so jugend-frischen Geist sprühenden Scherzo, dessen Trio allein schon ein Meisterwerk von selbstständiger Melodienführung in den Mittelstimmen ist, konnten wir nicht länger unsere Bewunderung und Verehrung zurückhalten, und beschlossen, Euer Wohlgeboren brieflich den Ausdruck derselben darzulegen. Wie oft erschallten Ihrem Namen, hochverehrter Herr Kapellmeister! laute Lebehoch's! Wie oft schmückte meine Frau in ihrer Begeisterung das Bildniß Euer Wohlgeboren mit dem verdienten Lorbeer! – Nur Eines fehlt zu unserem vollen Glücke. Wir waren nämlich noch nie so glücklich, die theuren Züge Ihrer Handschrift kennen zu lernen, noch weniger zu besitzen. Verzeihen Euer Wohlgeboren es dem Übermaße der Begeisterung, wenn ich die unbescheidene Bitte wage, uns nur mit einer Zeile Ihrer theuren Handschrift, sei es auch nur eine einfache Empfangsbestäthigung dieses Briefes, gütigst beglücken zu wollen. Euer Wohlgeboren würden uns dadurch unaussprechlich machen. In der Hoffnung einer gnädigen Gewährung der gemeinschaftlichen Bitte wage ich es meine Adresse beizufügen1, und verharre nochmals um Verzeihung meiner Frechheit bittend

Euer Wohlgeboren
begeisterter Verehrer
Friedrich Winter.

Wien den 28 Juli 1856.

Autor(en): Winter, Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 146
Erwähnte Orte: Wien
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856072845

Spohr



Spohr beantwortete diesen Brief am 17.08.1856.

[1] Dem Brief liegt eine Visitenkarte bei, auf der Vorderseite gedruckt: „Fritz Winter“, auf der Rückseite handschriftlich: „Vorstadt: Wieden Haus Nro 71“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (31.03.2020).