Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Scholz,B.:4

Mailand, im Juli 1856

Hochgeehrter Herr!

Endlich ist es mir vergönnt, Ihnen die Sonate, deren Widmung Sie so freundlich aufnehmen, zu überreichen. Ich befinde mich dabei in der sonderbaren Lage, zugleich Ihre Nachsicht für diese erste größere Arbeit in Anspruch zu nehmen, und Sie zu bitten, mir dennoch ein offenes u. strenges Urtheil über meine Leistung abzugeben, erstens, damit ich nicht beschämt werde, daß ich Ihnen, verehrter Herr, die Sonate zuzueignen gewagt habe, und Letztens, um aus Ihrer Kritik wieder Neues zu lernen, um von Ihnen die Wahrheit zu erfahren, die uns leider so selten in Wirklichkeit geboten wird. Es wäre mir namentlich auch interessant, Ihre Meinung über die Behandlung der Geige zu erfahren, wobei ich jedoch vorausschicke, daß ich beim Componiren eine Concertsonate beabsichtigt habe, also vor gewöhnlichen technischen Schwierigkeiten keine zu große Scheu gehabt habe.
Ich erlaube mir zugleich, Ihnen ein Heft Clavierfugen zuzusenden, welche Ihnen Zeugniß ablegen sollen, daß ich mich bemüth habe, mir die strengeren contrapunktische Schreibarten geläufig zu machen, – ein Studium, das mir freilich selbst die größte Freude gewährte, – wobei mich allerdings der interessante, anregende Unterricht des Herrn Prof. S.W. Dehn nicht wenig angespornt hat.
Ich befinde mich im Augenblicke hier in Mailand, um den italienischen Gesang etwas näher kennen zu lernen.1 Da mein Aufenthalt aber kein langer sein wird, so bitte ich Sie, wenn Sie die Freundlichkeit haben wollen, mich durch ein recht offenes Urtheil über meine Arbeiten aufs Neue anzuregen, Ihren Brief nach Mainz, meiner Vaterstadt u. zwar an untenstehende Adresse zu senden.
Genehmigen Sie, hochgeehrter Herr, die Versicherung meiner vollkommensten Hochachtung

Bernhard Scholz
adr. Herrn Jos. Scholz2, Mainz.

Autor(en): Scholz, Bernhard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Dehn, Siegfried Wilhelm
Erwähnte Kompositionen: Scholz, Bernhard : Sechs Präludien und Fugen, Kl, op. 1
Scholz, Bernhard : Sonaten, Vl Kl, op. 3
Erwähnte Orte: Mailand
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856071546

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Scholz, 26.04.1855. Spohr beantwortete diesen Brief am 22.10.1856.

[1] Vgl. Bernhard Scholz, Verklungene Weisen. Erinnerungen, Mainz [1911], S. 99.

[2] Joseph Scholz war der Großvater von Bernhard Scholz und der Gründer des Familienunternehmens, das Scholz’ Vater Christian weiterführte (vgl. Bernhard Scholz, Verklungene Weisen. Erinnerungen, Mainz [1911], S. 10f.).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.05.2021).