Autograf: Hessisches Staatsarchiv Marburg (D-MGs), Best. 159, Nr. 189 [Amtswidrigkeit des Kapellmeister Bott am 12.5.1856 und seine Dienstentlassung (1856-1856)], Bl. 8f.


Hochverehrte General-Intendantur
des Kurfürstlichen Hoftheaters,

Als ich Montag Abends 6 Uhr1 durch den Orchesterdiener2 in’s Theater gerufen wurde, weil der Kapellmeister Bott sich weigere, die Oper „der Nordstern“ zu dirigiren war mir die Veranlassung zu dieser auffallenden Weigerung noch ganz unbekannt, und ich hörte nur erst von ihm selbst, den ich in der höchsten Aufregung auf der Bühne vorfand, „daß er sich durch das was vorgefallen3, zu sehr gekränkt fühle, um seine vor dem ganzen Orchester ausgesprocheneund auf seine Ehre bekräftigte Weigerung nun noch zurücknehmen zu können!“ Ich stellt ihm vor, daß seine Ehre durch Zurücknehmen eines übereilt ausgesprochenen Wortes nicht leiden werde, daß ich ihm aber als sein ältester Freund und Lehrer rathen müsse, sich für jetzt zu beruhigen und durch längeres Weigern keine Störung der Oper herbey zu führen, da der Hof sogleich erscheinen werde und das Publikum bereits zahlreich versammelt sey. Er war jedoch noch in zu großer Aufregung, als daß mein Zureden sogleich auf ihn hätte einwirken können; doch glaube ich, daß seine Rückkehr in *s Orchester gleich nach dem Beginn der Oper eine Folge davon war. – Eine Aufforderung des Herrn Oberinspectors4, die Direction der Oper nun selbst zu übernehmen“ mußte ich ablehnen, da mit die Partitur ganz unbekannt ist. Ich beredete aber Herrn Musikdirector Sobirey dazu, da er alle Proben und Aufführungen der Oper beygewohnt hat und sie daher sehr genau kennt.
Wenn ich diesen Vorfall, der allein durch die übergroße Reitzbarkeit des jungen Künstlers herbeygeführt worden ist, schon an sich sehr beklage, da ich ihn wegen seines eminenten Talents und seines Eifers im Dienst sehr hochstelle, so muß ich doch noch in ’s besondere bedauern, daß ich seine Mitwirkung bey den großen Opern, die jetzt auf dem Repertoire stehen, entbehren soll, da, wenn er vorspielt, das Saiten-Orchester noch einmal so kräftig wirkt. Ich bitte daher im Interesse des Dioenstes, daß seine Angelegenheit recht bald entschieden, und er seinem Wirkungskreise zurückgegeben werde.

Mit vorzüglicher Hochachtung verharre
Kurfürstlicher General-Inten-
dantur
ergebenster
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Heeringen, Josias von
Erwähnte Personen: Bott, Jean Joseph
Flach, Matthäus
Sobirey, Gustav
Zipf, Christoph
Erwähnte Kompositionen: Meyerbeer, Giacomo : L’étoile du nord
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856051543

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Heeringen an Spohr, 13.05.1856. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Heeringen an Spohr, 15.08.1856.

[1] Hier gestrichen: „durch“

[2] Christoph Zipf.

[3] Josias von Heeringen hatte ohne Absprache mit Bott eine Rolle umbesetzt (vgl. Horst Heußner, „Jean Joseph Bott“, in: Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck, hrsg. v. Ingeborg Schnack, Bd. 6 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 20), Marburg 1958, S. 1-13, hier S. 8;

[4] Matthiäus Flach.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.07.2022).