Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. Mus.ep. Spohr-Correspondenz 2,230
Beleg 1: Autographen-Sammlung enthaltend Musiker-Briefe und Musik-Manuskripte aus dem Nachlasse des berühmten Komponisten Louis Spohr (1784-1859) nebst Beiträgen aller Art (Fürsten,Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, Künstler, etc.) aus dem Besitz eines bekannten Berliner Sammlers. Versteigerung zu Berlin Montag, den 15. und Dienstag, den 16. Oktober 1894 (= Katalog Liepmannssohn), Berlin 1894, S. 69
Beleg 2: Sammlung Fritz Donebauer, Prag. Briefe, Musik-Manuscripte, Portraits zur Geschichte der Musik und des Theaters. Versteigerung vom 6. bis 8. April 1908 (= Katalog Stargardt), Berlin 1908, S. 97
Beleg 3: Georg Kinsky, Versteigerung von Musiker-Autographen aus dem Nachlaß des Herrn Kommerzienrates Wilhelm Heyer in Köln im Geschäftslokal der Firma Karl Ernst Henrici. Montag, den 6 und Dienstag, den 7. Dezember, Bd. 1, Berlin 1926, S. 101

Verehrter Gönner und Freund!
 
Erst jetzt, nachdem meine Dienstzeit wieder vorüber ist, (welche diesmal zwar spät anfing, dann aber um so strenger wurde) komme ich dazu, Ihnen anzuzeigen, daß unsere Hinreise ganz glücklich von Statten gegangen ist, und zugleich dazu, Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin meinen wärmsten Dank für die überaus freundliche Aufnahme, welche Sie mir und den Meinigen zu Theil werden ließen, abzustatten, mit der Versicherung, daß mir die leider viel zu kurze Zeit, welche ich in Ihrer Nähe zubrachte, einen großen und dauernden Genuß verschafft hat.
Nachdem nun, wie schon gesagt, meine diesjährige Dienstzeit wieder vorüber ist und ich bis Ende Oktober ganz frei über meine Zeit verfügen kann, so ist nach mehrerlei anderen Plänen endlich das schon öfter bedachte und besprochene Vorhaben, einmal selbst nach London zu gehen und einige Zeit, d.h. so lange als der Geldbeutel reicht, dort zuzubringen, bei mir zum festen Entschluß geworden. Außerdem, daß London mir in jeder anderen, so auch in musikalischer Beziehung unter die Metropolen gehört, würde es mir schon deshalb zusagen, dort ein für mich passendes terrain zu finden, weil das dortige musikalische Leben mit mit meinen hiesigen Diensterhältissen insofern harmnirt, als ich hier den ganzen Sommer über (von Mitte Mai bis Ende Oktober) frei bin, und , daher in dem Falle, als es sich für zweckmäßig oder nöthig werden sollte, schon jetzt jeden Sommer dort zubringen könnte. Da ich das Solospielen schon seit mehreren Jahren ganz aufgegeben habe, so muß ich natürlich auch auf alle diese zielende Spekulationen verzichten; ein zu erstebendes Ziel bestünde also hauptsächlich darin:
1.) Meine Kompositionen, derer ich nun eine ziemlich Zahl in größerer und kleinerer Form und zwar in recht mannigfacher Art beisammen habe, sowohl bei den dortigen Verlagen, als auch (im glücklichen Falle) bei dem dortigen Publikum bekannt zu machen.
2.) Die musikalische Direction irgend eines dortigen guten und soliden Concert-Vereins zu erlangen; und
3.) Unterricht in der Komposition zu geben.
Zu diesen drei Punkten kömmt freilich auch noch ein vierter, nemlich der, daß ich als Mensch und Künstler wahrhaft darauf sehe, dasjenige Leben, welches man nur in großen Orten finden kann, doch wenigstens zeitweise mit zu genießen, und eben dadurch wenigstens periodisch aus dem mir gar nicht zusagenden Krähwinkel-Leben hinaus zu kommen. Auf Ihren freundlichen Rath habe ich mich aus ähnlichen Gründen zwar schon vor zwei Jahren an Herrn Dr Wylde schriftlich gewendet, jedoch nicht einmal eine Antwort darauf erhalten, wie ich denn überhaupt immer mehr die Erfahrung mache, daß durch das Schreiben an persönlich unbekannte Personen von kleinen Orten aus wenig zu erreichen ist, woraus jetzt eben bei mir der Entschluß entstanden ist, das dortige Terrain einmal persönlich zu inspiziren.
Nachdem ich bereits gestern an zwei meiner dortigen Freunde geschrieben habe, durch welche ich häuslich versorgt zu werden hoffe, so wende ich mich nun hiemit vertrauensvoll an Sie, meinen vielberühmten Gönner und Freund, mit der Bitte, an alle diejenigen Leute, welche dort von Einfluß auf unsere Kunst sind, mich durch einige Zeilen empfehlen zu wollen, indem es natürlich zunächst in meinem Interesse liegt, gerade diese Leute persönlich kennen zu lernen. Um Ihnen eben nicht gar zu viele Mühe zu machen, wäre es vielleicht schon hinreichend, wenn Sie mir nur einen kurzen, offenen Brief, mit der Adresse der betreffenden Personen versehen, zuschicken wollen, welche ich dann jedem derselben, seyen es auch noch so viele, blos vorzeigen würde.
Die Form, in welcher Sie dies thun wollen, muß indessen natürlich Ihnen überlassen bleiben, nur so viel kann ich Sie versichern, daß ich auf eine Empfehlung (oder ein Zeugis) von Ihnen, der Sie in England so hochgeachtet sind, den größten Werth lege, weshalb ich Ihnen für Alles, was Sie freundliches für mich thun werden, im Voraus herzlichst danke.
Da ich meine Reise vermuthlich noch im Laufe dieses Monats antreten werde, so muß ich Sie freilich mit der weiteren Bitte belästigen, mir die erbetenen Empfehlungen baldmöglichst hieher schicken zu wollen; sollten Sie vielleicht einige Worte über mein dort zu befolgendes Verhalten beifügen wollen, so würden Sie mich um so mehr verbinden.
Indem ich Sie bitte, Ihre Frau Gemahlin mich und die Meinigen bestens zu empfehlen, verbleibe ich in der Hoffnung baldiger Nachricht mit den bekannten Gesinnungen von ganzem Herzen
 
Ihr
Th. Täglichsbeck
 
Löwenberg
in Preuß. Schlesiesn
am 13ten Mai 1856.
 
Herrn Kapellmeister Bott
freundliche Grüße.

Autor(en): Täglichsbeck, Thomas
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bott, Jean Joseph
Spohr, Marianne
Wylde, Henry
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Kassel
London
Löwenberg
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Hechingen>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856051343

Spohr



Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Täglichsbeck, 14.10.1855. Dazwischen liegt offensichtlich ein Kassel-Aufenthalt Täglichsbecks und seiner Familie ab dem 20.10.1855. Spohr beantwortete diesen Brief am 17.05.1856.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.05.2016).