Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Dordrecht 3 Aprill 1856.

Hochverehrtester Herr General-Musikdirector!

Empfangen Sie geliebter hochverehrter Mann wiederum meine allerherzlichsten Glückwünsche zu Ihrem Geburtstage! Möchte der gütige Schöpfer mein inbrünstiges Gebet erhören und Ihnen fortdauernde Gesundheit und ungetrübte frohe heitere Tage schenken und möchten Sie immermehr die Früchte Ihres so reichen und vielfältig thätigen Lebens genießen und möchte die ganze Welt Ihnen immermehr die Ehre u Hulde bereiten die Sie so sehr verdienen!
Oft schon habe ich daran gedacht ob es nicht möglich hier ein Fest u veranstalten und an alle Ihre Schüler eine Aufrufung zur Beiwohnung desselben ergehen zu lassen (oder wenn vorhindert dasselbe dazufeiern wo sie sich befinden) ein echt deutsches großartiges Fest dem geliebten hochverehrten Meister zu Ehren und um seine Meisterwerke würdig unter seiner leitung auszuführen. Dann könnte die Welt so recht vernehmen wie und was er gewirkt und geschaffen hat und wie sein Thuen unvergänglich ist, wie seine Meisterwerke.
Hier in Holland entwickelt sich die Musik immermehr und da der Karakter des Holländers ernst ist, so ist ihm natürlich die ernste gediegene Musik die Liebste. Gepaart geht damit die Liebe für Ihre Musik, was ich deutlich aus der Menge Ihrer Compositionen die in der letzten Concert-Saison überall ausgeführt sind, ersehen kann; ein Zeichen daß sie hier immermehr heimisch und populär wird.
Über mich kann ich nicht viel sagen als das alte Lied daß ich mich oft sehr einsam u verlassen fühle, jedoch überhäuft zu thun habe, was einestheils sehr gut ist, da ich dadurch weniger an meinen Zustand denken kann; anderntheils aber auch sehr abstumpft, so daß ich eine wirklich geisterfordernde u für mich angenehme Beschäfftigung sehr selten denken kann.
Das Nationale Gesangfest wozu man mich zum Mitdirektor erwählt u worüber ich im vergangenen Jahre um Ihren gütigen Rath bat, wird nun im nächsten Juny in Utrecht stattfinden.1 Wenn Sie mir erlaubten hochverehrtester Herr General Musikdirector öfterer an Sie zu schreiben und wohl auch über mehr specile musikalische Gegenstände und wenn Sie so gütig wären, durch Ihren fortwährenden Rath u Belehrung auch in der Ferne auf mich zu wirken, so würde ich mich dadurch sehr glücklich fühlen und meine Kräfte würden einen neuen Impuls dringen u nicht einschlafen, was ich bei meiner drückenden täglichen Beschäfftigung am meisten fürchte. Ich würde zu fortwährenden Nachdenken veranlaßt u gezwungen sein u es würde mir in meiner verlassenen Lage wie ein Stern der Hoffnung und des Trostes erscheinen. Sein Sie fortwährend gütig gegen mich und erfüllen Sie eine Bitte die mich so sehr erfreuen, wie belehren als glücklich machen würde.
Neulich traf ich auf einer kleinen Reise nach Amsterdam einen großen Verehrer von Ihnen an der Sie in Lille ohngefähr im Jahre 18322 gekannt haben wollte und da er hörte daß ich Ihnen bald schreiben würde, um seine Empfehlungen an Sie bat und ob Sie sich auch an Herrn Wiegemann und Söhne und Mijnheer van der Schriek erinnerten? Es muß nach Ihrer gefahrvollen Reise nach England gewesen sein.
Mit der Bitte mich Frau General Musikdirector allerbesten zu empfehlen, sende ich Ihnen viele tausend Grüße.
Mit unbegrenzter Hochachtung und Verehrung

Ihr stets dankbarer
F. Böhme

Autor(en): Böhme, Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Schriek, van der
Wiegemann
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Amsterdam
Lille
Utrecht
Erwähnte Institutionen: Nederlandsche naationale zangersfeest <verschiedene Orte>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856040340

Spohr



Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Böhme, 19.04.1855. Spohrs Antwortbrief vom 13.04.1856 ist derzeit verschollen.

[1] Vgl. „Utrecht, 6 Nov“, in: Hoornsche courant 10.11.1855, S. [2]).

[2] Da Spohr 1832 nicht in London war, meint Böhme vielleicht die London-Reise 1820, auf der er sich tatsächlich kurz in Lille aufhielt (vgl. die in Lille geschriebenen Briefe Dorette Spohr an ihre Kinder und Schwiegereltern, 12.02.1820 und Louis Spohr an Wilhelm Speyer, 21.02.1820, die allerdings vor und nicht nach dem Londonaufenthalt liegen).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (09.10.2020 ).