Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Scholz,B.:3

Berlin d 25 Maerz 1856.

Hochgeehrter Herr!

Vor ungefähr einem Jahre hatte ich mir die Freiheit genommen, Ihnen von Mainz aus ein Heft Lieder zuzusenden mit der Bitte, mir Ihr offenes Urtheil darüber mitzutheilen.1
Sie hatten damals die große Güte, dieser Bitte in reicherem Maaße, als ich zu hoffen gewagt hatte, nachzukommen, indem Sie mir Ihre freundliche Ermunterung zu Theil werden ließen. Den Rath, den Sie mir damals gaben, meine theoretischen Kenntnisse möglichst zu erweitern, konnte ich glücklicherweise bald befolgen, und bin ihm – ich darf es dreist aussprechen – treulich nachgekommen, indem ich seit Mai vorigen Jahres unter der vortrefflichen Leitung des Herrn Prof. S.W. Dehn hier die strengste Schule gewissenhaft durchgemacht, und mir alle Arten der contrapunctischen Schreibart zu eigen gemacht habe.2
Als mein Opus 1 werden bei Schott in Mainz in einiger Zeit 6 große Präludien und Fugen erscheinen, wie auch eben in Leipzig3 eine große, gearbeitete Sonate für Geige & Clavier im Druck ist. Ich habe diese letzterre vor Kurzem hier in einer von mir veranstalteten Matinée gespielt, und war hoch erfreut, sowohl bei dem Publicum, als auch bei der hier gänzlich scharfen, & namentlich sehr confirmativen Kritik Anklang zu finden.
Ich wage nun an Sie die vielleicht etwas unbescheidene Bitte, Sie möchten mir gestatten, hochverehrter Herr, Ihnen die Sonate zu widmen. Wenn ich mich auch nicht mit der Hoffnung tragen darf, daß mein Werk des Namens, mit dem ich es zieren möchte, einigermaßen würdig sei, so weiß ich doch, daß ich nach Kräften mein Besten geleistet habe, und es drängt mich, dieses mein Liblingskind Ihnen, dem ich die freundlichste Ermunterung und den ermuthigendsten Zuruf verdanke, zurTaufe darzubringen.
Entschuldigen Sie, verehrter Meister, daß ich so frei und undbefangen vor Sie hintrete. Das Bewußtsein, mich der Kunst ohne egoistische oder ehrsüchtige Motive, nur aus Liebe und Begeisterung für die hingegeben zu haben, gibt mir den Muth dazu.
Ein gütiges „Ja“ auf meine Bitte würde ins Innerste erfreuen

Ihren ganz ergebenen
B. Scholz

B. Scholz
Marienstrasse No 6, 1 Treppe
Berlin

Autor(en): Scholz, Bernhard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Dehn, Siegfried Wilhelm
Erwähnte Kompositionen: Scholz, Bernhard : Sechs Präludien und Fugen, Kl, op. 1
Scholz, Bernhard : Sonaten, Vl Kl, op. 3
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Peters <Leipzig>
Schott <Mainz>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856032546

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Scholz an Spohr, 26.04.1855. Spohr beantwortete diesen Brief am 27.03.1856.

[1] Scholz an Spohr, 29.03.1855.

[2] Zu Scholz’ Unterricht bei Dehn vgl. Bernhard Scholz, Verklungene Weisen. Erinnerungen, Mainz [1911], S. 92ff.

[3] Bei Peters.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.05.2021).