Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochverehrter Herr!

Die von mir und meinem Verein projektirt gewesenen Konzerte sind zu Stande gekommen und, den 26ten und 27ten Juli abgehalten worden. Tief haben wir bedauert, daß Sie diesem Feste und der musikalischen That wie sie in hiesigen und auswärtigen Blättern genannt wurde, nicht beiwohnen konnten. Alles wie ich es projektirt hatte ist mir gelungen. Die Solosänger für Ihr Oratorium1 habe ich Alle gefunden und waren die Parthien der Maria2, des Petrus, Ischarioth, Johannes und der Freundinnen Jesu, wirklich sehr gut besetzt. Kaiphas gut, Philo und ein Zeuge minder gut, wirkten aber doch korrekt. - Den Chor brachte ich auf 130-140 Personen, alles gute Stimmen, und einstudirt, daß sie alle Chöre auswendig singen konnten.
Das Orchester war dießmal nur von Künstlern besetzt, und zwar die ersten aus der Schweiz und 16. Mitgliedern der Königl. Hofcapelle in Stuttgart unter welchen der Harfenist des Königs, Herr Krüger.
Der Bestand desselben war:
10. erste
10. zweite Violinen
6. Viola.
6. Celli.
6. Bassi.
3. Flauti
2. Oboi.
2. Clartti
2. Fagotti.
4. Corni.
2. Trombe.
3. Tromboni
1. Harfe und
Timpani nebst Schlagwerk für die 9te Sinfonie. - Die Konzerte selbst wurden an einem Donnerstag und Freitag abgehalten und da fast alle Künstler schon am3 Sonntag vorher hier eintrafen, so konnte ich am Montag mit den Proben beginnen, die auch so gefruchtet hatten, daß Alles sehr gut ging. Wie schon bemerkt, wurden diese eine musikalische That genannt, wie in Bern noch keine vollbracht wurde, und wahr wird es auch seyn, weil man vorher in Bern nie ein Orchester von mehr als 60. Künstlern zusammen wirken hörte.
Wie sehr freut es ich Ihnen melden zu können, daß Ihr Oratorium, (wie auch das vor anderhalb Jahren aufgeführte4,) wieder den größten Beifall ärndete5, sogar einzelne Nummern gegen allen Gebrauch in der K i r c h e, stark aplaudirt wurden. Auch Beethovens 9te Sinfonie, die doch noch sehr verschieden beurtheilt wird, hat hier außerordentlich gefallen und wurde ebenfalls stümisch aplaudirt. Freilich war für die Ohren der Berner die Kraft des Chores und eines solchen Orchesters in solchen Kompositionen konzentrirt, von überwältigender Wirkung!6
7 In deutschen Blättern soll vieles über diese Konzerte gesprochen worden seyn: Musikzeitung, der Frankfurterz. dem schwäb. Merkur und andern, und in allen gleich günstig geurthielt worden seyn. Da ich diese Blätter nicht selbst zu Gesicht bekam, so kann ich Ihnen leider nur mittheilen was ich gehört habe.
Ihre Partitur und Clavier-Auszug würde Ihnen längst schon geschickt haben, wenn wir nicht projektirt hätten8 mehreres aus Ihrem Oratorium im Laufe dieses Winterrs wieder aufzuführen und, die St. Galler uns nicht die Partitur zu demselben entführt hätten, die ebenfals im Laufe dieses Winters Ihr Werk aufführen wollen. Aus diesem Grunde wollen Sie, geehrter Herr! die verspätete Zurückgabe gütigst entschuldigen.
Mit diesem nehme ich mir die Freiheit, eine Sonate von Beethoven beyzulegen – Partitur und Stimmen – die ich für 5 Streich- und 5 Blasinstrumente gesetzt habe. Wenn Sie dieses Werk in Bälde zur Aufführung bringen sollten, so würden Sie mir nicht allein große Freude bereiten, sondern mich zu neuem Danke verpflichten. Eine Aufführung durch Sie, vielleicht ein kleines Empfehlungsschreiben von Ihnen an einen Verleger, könnte mir nützlich seyn. Ich habe manche Werke geschrieben, die ich gerne in Verlag brächte, - es hält aber auch gar zu schwer von hier aus und ohne die Empfehlung einer musikalischen Notabilität einen Verleger und wenn die Werke auch noch so brav wären, zu finden. Dem einen sind sie zu schwer, dem anderen nicht Handelsartikel genug, ein anderer meint, man solle lieber Potpouris, alla Henri Krämer, schreiben etc. Wenn Ihnen die Instrumentation dieser Sonate, wie ich so gern glauben möchte, gefällt, nicht wahr dann haben Sie die Güte dieselbe zur Aufführung zu bringen. Indem ich Ihnen für Ihre Güte meinen vollsten Dank ausspreche, verbleibe mit inniger Hochachtung

Ihr
stets ergebener
J. Edele ./..9

Pscr.
Dieser Brief wurde sogleich nach Empfang Ihres Geehrten vom 16ten Dez. von mir niedergeschrieben; in welch verzweiflungsvollen Lage ich mich aber seither befunden, erlaube ich mir in Kürze zu meiner Entschuldigung mitzutheilen. Ein Freund von mir, ein Genfer und,10 Verehrer Ihrer Musik war bey unseren Konzerten anwesend und vernahm von mir, daß ich eine Manuscript-Partitur von Ihnen in Händen habe. Leider habe ich seinen dringenden Bitten nachgegeben und ihm dieselbe für einige Wochen zu leihen versprochen. Er vereiste damit nach Vivis11 (wo er gewöhnlich wohnt) und so ließ ich ihm die Partitur, weil ich dieselbe in einem unserer Winterkonzerte zu gebrauchen dachte, indem unsere Partituren nach St. Gallen geliehen wurden wo Ihr Werk höchst wahrscheinlich bevorstehende Ostern aufgeführt wird. - Nachdem ich nun Ihr Schreiben erhalten hatte reklamirte ich Ihre Partitur von meinem Freunde erheilt aber auf alle meine vielen Schreiben erst vor etwa 3. Wochen eine Antwort aus Rom mit der Anzeige daß er in 8 Tagen wieder in Vivs eintreffen und mir dann sogleich die Partitur senden werde. Aber erst heute erhalte sie, weil er auf seiner Reise krankheitshalber aufgehalten war. Er macht mit tausend Entschuldigungen, die ich nun auch Ihnen, Geehrtester Herr! mache. Dieß der Sachverhalt welcher mir größeren Verdruß machte als ich je in meinem Leben gehabt habe.
In der Hoffnung daß Sie deßhalb keinen Groll auf mich werfen, verbleibe in aller Hochachtung

Ihr
ergebenster J. Edele.

Bern d. 11ten März 1856.

Autor(en): Edele, Julius
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Heim, Emilie
Krüger, Gottlieb David
Erwähnte Kompositionen: Beethoven, Ludwig van : Sinfonien, op. 125
Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte: Bern
St. Gallen
Vivis
Erwähnte Institutionen: Verein für altklassische Musik <Bern>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856031144

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Edele, 16.12.1855.

[1] Des Heilands letzte Stunden.

[2] Emilie Heim (vgl. „Bern“, in: Intelligenzblatt für die Stadt Bern 22 (1855), S. 1974; dort auch sonst zu diesem Konzert).

[3] Hier gestrichen: „Mon“.

[4] Die letzten Dinge.

[5] Sic!

[6] Zur Aufführung vgl. „Musik in der Schweiz“, in: Zeitung für die elegante Welt 55 (1855), S. 421.

[7] Hier gestrichen: „Ihre bey“.

[8] „hätten“ über der Zeile eingefügt.

[9] Bei dem Zeichen „./..“ handelt es sich um einen freimaurerischen Zusatz zur Unterschrift (vgl. Philippe A. Autexier, Lyra Latomorum. Das erste Freimaurerliederbuch. Masonica über Haydn Mozart Spohr Liszt, pdf-Version nach dem Typoskript im Deutschen Freimaurermuseum Bayreuth, S. 339f. und 348).

[10] Sic!

[11] Deutscher Name für Vevey im Kanton Waadt.

Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Karl Traugott Goldbach (19.02.2020).