Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Wichmann,H.:9

Berlin am 21(?) Februar 1856.

Hochgeehrter Herr Capellmeister,

Sie können Sich nicht vorstellen welche Freude ich durch Ihren liebevollen Brief gehabt habe, und wie ich dadurch angespornt werde hier wieder zu versuchen ob ich nichts bessers zu leisten im Stande bin. Haben Sie daher vielen Dank für die Aufmunterung, sie soll nichts vergebens mir vorübergegangen sein.
Ich werde mir nächstens die Freiheit nehmen Ihnen eine Symphonie zu schicken, will aber die Zeit auch nicht bestimmen, da ich auch mannigfaltige Aenderungen beabsichtige und für gut halte die Arbeit jetzt vielleicht 14 Tage liegen zu lassen, um mit frischen(?) Augen wieder dran zu gehen. – Wie glücklich wäre ich, wenn ich beim Componiren zu gleicher Zeit einen kleinen musikalischen Wirkungskreis hätte um mich(?) im Dirigiren und einstudiren zu üben, aber leider bringen es umglückliche Verhältnisse mit sich, daß ich mir solche durchaus nicht schaffen kann. Hier in Berlin stehen vielleicht ohne den großen Sternschen Verein, den Jähnschen Verein, der Singacademie, noch 60 andre kleinere Vereine, wohl außerdem 30 Orchester, so daß eine solche Überfüllung in dieser Beziehung herrscht, daß man sich selbständig nichts schaffen kann. Jede kleine Stellung außerhalb die ich mit der größten Freude annehmen würde, wird gewöhnlich andern jungen Leuten ertheilt, da die Vertheiler von dem Standpunkt aus gehen, daß ich bemittelt genug bin um auf eine Stellung zu verzichten.
Demnach wäre ich sehr glücklich, wenn je meine Hoffnung in dieser Beziehung in Erfüllung ginge, und ich bitte Sie, verehrtester Herr Capellmeister, wenn Sie vielleicht einmal in der Lage sind irgendwo eine kleine Stelle vergeben zu können, sei es nur einen Singverein zu dirigiren oder ein Orchester, oder irgend etwas Anders, und Sie meine musikalischen Produkte schon für so reif halten um mir einige Kenntniß zu zutraun, da an mich zu denken. Ich würde solche Stelle1 an jedem Orte und unter jeder, auch der geringsten Bedingung annehmen. Ich würde dies für mein größtes Lebensglück ansehen einen ordentlichen Wirkungskreis zu haben.
Meine Eltern lassen Sie herzlich grüßen und empfehlen sich Ihrem wohlgeneigten Bedenken. Seien Sie überzeugt daß mein Vater noch oft von den frohen Stunden in unserm Gärtchen spricht. Meine Mutter die uns(?) krank war, und jetzt von Jahr zu Jahr wohler und wir können Gott nicht genug für diese Gnade danken.
Indem ich mich mit ewiger Hochachtung Ihrer Frau Gemalin empfehle bin ich

Ihr ergebenster Schüler
Hermann Wichmann

Autor(en): Wichmann, Hermann
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Wichmann, Amalie
Wichmann, Ludwig Wilhelm
Erwähnte Kompositionen: Wichmann, Hermann : Sinfonien Nr. 1
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Singakademie <Berlin>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856022140

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Wichmann 15.01.1856. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Wichmann an Spohr, 06.01.1857.

[1] „Stelle“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.04.2020).