Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Roda:4

Hamburg d 6t Febr. 56.

Sehr verehrter Herr Capellmeister!
Hochgeschätzter Meister!

Wie wenig heute meine Feder im Stande seyn wird Ihnen Erfreuliches und Befriedigendes berichten zu können, fühle ich selbst so sehr, daß ich mit Zagen, wiewohl nicht ohne Appellation an Ihr wohlwollendes Herz, an den Gegenstand meines heutigen heran gehe. Es hat nemlich die Ungunst der Zeitverbältniße, wie Krieg u. Theuerung keinen Stand mehr gefährden als den, eines Künstlers, - auch bei mir seinen Einfluß u. Wirkung in einer solchen betrübenden Weise gezeigt, daß ich, um nicht Schulden machen zu müssen, das Anerbieten meines Schwiegervaters, in seinem Hause zu wohnen, jetzund anzunehmen genöthiget bin. Wie schwer mir es wird, kann ich Ihnen nicht sagen, theils weil ich es zu schmerzlich fühle, theils weil gewisse Ungünstige Umstände es mir außerordentlich erschweren. Ich könnte viele Gründe anführen wovon einer schon hinreichend wäre, jezt und Alles zu versuchen, meiner Lage die mich zu erdrücken droht, zu entgehen. Ich will nemlich vermittelst Empfehlungbriefe Reisen nach einigen Städten machen, von welchen mir berichtet worden, daß Anstelluungen von Musikdirectoren beabsichtiget worden. Da ich nun vernommen, daß Hr. Cattenhusen auf ein Attest1, welches derselbe von Ihnen eingesandt, Anwartschaft auf eine ähnliche Stelle in Greifswald haben soll, so mögte ich Sie hochverehrter Meister hiermit inständigst gebeten haben, mir ebenfalls ein Zeugniß gnädigst auszustellen, daß ich auf meiner beabsichtigten Reise benutzen könnte, u. zunächst noch Rostock beehren wollte, wohin ich zuerst meine Schritte lenken will.2 Da Sie Arbeiten von mir gesehen, vielleicht auch durch Hrn Grund möglicherweise etwas über meine sonstigen Leistuungen als Clavierspieler u. Accompagnist erfahren haben, so bin ich der festen Ueberzeugung u. Hoffnung, daß mir ein Zeugniß von Ihren Händen sehr erfolgreich werden muß, wenn ich ein solches zu produciren im Stande seyn werde. - Daß ich von Hamburg gehen muß, thut mir in einigen Beziehungen u. in Rücksicht mancher errungenen Vortheile leid, indessen welchen Vorzug könnte man einer, u. zumal so reichen Stadt schenken, die nicht eine einzige Stelle einem Künstler anzubieten hat, die der geringsten Besoldung eines der niedrigst Angestellten gleich käme?! Auf dem Sensboden bloßer Menschengunst sucht der Künstler vergebens Sicherheit für seine Subsistenz. Daß mein Gemüth in letzter Zeit sehr verstört, mein Gefühl häufig verletzt worden, können Sie sich gewiß vorstellen, u. oft glaubte ich der Trauer meines Herzens zu unterliegen. Daß in solchen Zeiten der Werth der Menschenliebe steigt in dem Grade man sie schmerzlich vermist, daß nur fühlte der, der in ähnlichen Lagen war; [???] noch lebt unser gute Gott! und mit ihm manches wohlvollendete Menschenherz, hieran will ich glauben, und das drängte mich, meinem verehrtesten Freund u. geehrten Meister Alles3 dies mitzutheilen und obige Bitte auszusprechen; von Ihren herzlich ergebenen

FerdvonRoda.

Autor(en): Roda, Ferdinand von
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Catenhusen, August
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Greifswald
Hamburg
Rostock
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856020644

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Roda, 12.08.1855.

[1] Noch nicht ermittelt.

[2] Dort trat Roda im Folgejahr eine Stelle als Universitätsmusiklehrer an (vgl. Reinhold Bechstein, „Rostock, 28. April“, in: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung (1876), S. 216; Karl Heller, „Die akademischen Musiklehrer an der Universität Rostock und ihre Rolle im städtischen Musikleben“, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 24 (2001), S. 96-124, hier S. 104f.).

[3] „Alles“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (06.03.2019).