Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Wichmann,H.:8

Berlin am 1t Januar 1856.

Hochverehrter Herr Capellmeister,

Nach langer Zeit erlaube ich mir Ihnen einmal ein Lebenszeichen von mir zu geben, indem ich Ihnen ein eben erschienenes Quartett zur Ansicht schicke. Vor kurzer Zeit hörte ich wie meine Freunde Carl Lührs, der das Glück hatte Sie nach langem vergeblichen Wunsche doch viel zu sehen, indem er Sie mit Liszt in Cassel besuchte, daß es Ihnen sehr gut gienge, und in Bezug auf Ihre Gesundheit nichts zu wünschen übrig wäre. Möchte dies auch in diesem Jahre ebenso sein. Das vorliegende Quartett habe ich mit großer Mühe gearbeitet, und bin dabei so gewissenhaft als möglich zu Werk gegangen. Da ich weder hervorragendes Talent besitze, noch Zukünftler, wenn der hiesige Berliner Ausdrucke so richtig ist, in der musikalischen Richtung, die ich eingeschlagen habe, bin – so habe ich mich bemüht alle Extravaganzen zu vermeiden und einfacher(???) in den Grenzen der Moderation zu bleiben.
Wie sehr würde ich mich freuen, verehrter Herr Capellmeister, wenn Sie einmal(???) so freundlich sein wollten, sich das Quartett vorspielen zu lassen, um mir das Richtige darüber zu sagen. Da mir Ihre Lehren und Ihr competentes Urtheil doch mehr werth ist, wie Alles, und ich nie vergessen werde was ich Ihnen verdanke, so bitte ich nach langer Zeit einmal wieder Ihre Güte zu erneuern und mich in die schöne Zeit meiner ersten Jugend zurück zu versetzen, wo ich so glücklich war mich Ihren Schüler zu nennen. In gleicher Zeit benutze ich die Gelegenheit herzliche Grüße an alle die lieben Freunde zu schicken, mit denen ich durch die Zeitumstände seit langer Zeit außer Verbindung stehe. Ich erwähne(???) vor allen Herrn Otto Bähr und dessen Gemalin, Minna Pfeiffer, meinen lieben Jean Bott und die jetzige Mad. Marianne Wöhler bei deren Eltern ich wie ein Sohn im Hause gehalten wurde. Auch den guten Weinrich bitte ich herzlich zu grüßen. – In musikalischer Beziehung sieht es, trotz der Ueberfülle von Concerten und musikalischen Soirèen sehr öde aus. Eine Neuigkeit ist die heutige erste Aufführung des Tannhäuser. Eine Fr. Parisetti aus Bonn welche am 21. ein brillantes Concert gab, hat eine wunderschöne Stimme und wird vielleicht bei gewissenhafter Ausbildung ihrer Mittel eine der ersten Sängerinnen werden.
Indem ich einen schonungslosen Bericht meiner Arbeit erwarte, bitte ich noch meine innigen und hochachtungsvollen Empfehlungen an Ihre Frau Gemalin zu machen und sage zu gleicher Zeit viele Grüße meiner Eltern. – Ich verbleibe Ihr Ihnen in tiefster
Hochachtung und Dankbarkeit ergebener
Schüler

Hermann Wichmann

Autor(en): Wichmann, Hermann
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bähr, Otto
Bähr, Sophie
Lührß, Carl
Pfeiffer, Minna
Wöhler, Marianne
Erwähnte Kompositionen: Wichmann, Hermann : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 19
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1856011040

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Wichmann an Spohr, 01.01.1848. Spohr beantwortete diesen Brief am 15.01.1856.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (09.03.2020).