Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Wohlgebohren
dem Herrn Gen. Musik-Director
Dr Louis Spohr,
in
Cassel.

hiebei ein anhängl. Paquet, vigl.:
C. O. No 2.

fro1


Naumburg a/Saale d 5 Januar 1856.

Hochverehrter Herr Geneal-Musik-Direktor!

Der in Gotha gegründeten Mozart Stiftung, zu deren Vorstand Sie mit erwählt sind, schließe ich mich, theils aus besonderer Achtung für den großen Meister, theils aus Rücksicht für die damit verbundenen guten Zwecke, gern an, und übersende Ihnen als Beitrag, in beiligendem versieg. Paquet C.O. No 2. sigl. Zwanzig Thaler in einer Weimarischen Banknote.2
Das Paquet schließt zugleich mein Op. 28. 2 Lieder und ein Duett ein, welches Sie, von mir anzunehmen die Güte haben wollen. Mit anderen Geschäften und Reißen überladen, war es mir bis jetzt unmöglich Ihnen die Partitur und Orchester Stimmen von Op. 18. zusenden zu können. Jetzt bin ich aber so weit, die Revision vornehmen und die Reinschrift besorgen lassen zu können und glaube, daß Letztere bis Februar beendigt sein wird. Dann sollen auch die Partitur und Orchesterstimmen zu den Op. 20 & 27 zum Druck vorbereitet werden.
Sollten Sie vielleicht, früherhin schon, eine Probe mit Op 18. in Ihrem Cäcilien-Vereine vornehmen und mich als Zuhörer zulassen wollen, so würde ich, sobald es meine Zeit erlaubt, und Sie mir den Tag bestimmen können, dorthin kommen.
Vor Weihnachten hatte ich etwa 14 Tage in Leipzig zu thun, und habe diesmal dort in Concerten und in der Oper manches interessante auch manches uns noch unbekannte, in vorzüglicher Ausführung gehört; – Am 13 December war ich im Gewandhaus Concerte. Das vorzügliche Programm lieferte (mir ganz neu) Ouvertüre zu König Stephan von Beethoven – Neues Concert für Violine von Vieuxtemps Ouverture „die Hebriden“ von Mendelssohn, und – Ihre Sinfonie No 3. C. moll. Alles, köstliche geschrieben und eben so ausgeführt wurde allgemein mit stümischen Beifall belohnt, sogar jeder einzelne Satz Ihrer Sinfonie.3
So sehr mich nun drängt bei geschwinden, brillanten, bewegenden Sätzen, meinen Beifall in lauten Applaudissements zu erkennen zu geben, so muß ich doch offen gestehen, daß mir derselbe bei langsamen, so recht zur Seele und zum Gemüth sprechenden, Compositionen (namentlich mit gutem4 Texte) ordentlich zuwider ist. Eine warmer Händedruck, vielleicht von einer Thräne begleitet, möchte ich dann dem Componisten und denen die ihn so ganz in seinem Sinne auszuführen verstehen, aus bewegtem Herzen, in aller Stille, reichen, und dies wäre gewiß mehr als alle laute Aeusserungen, und wären sie von Canonensalven begleitet – Leider, – kann ein Publikum sich aber so nicht äußern, und muß, wie mir allemal, seine Dankbarkeit und seinen Enthusiasmus für so ansprechende Werke, auf ein und dieselbe laute Weise kund geben. – Ein Applaus nach einem Adagion in Ihrer Weise, giebt mir stets einen Stich ins Herz. Uebrigens wette ich, wären Sie unter dem Zuhörern im Gewandhaus gewesen, Sie würden Selbst mit hingerissen worden sein, Ihrem eigenen Werke Beifall zu klatschen; – so sehr erregte5 Composition und Ausführung.
Ich darf wohl bitten, über den richtigen Empfang des Geldes ein paar Zeilen zu erhalten, da ich davon nichts auf der Brief Addresse bermerkt habe.
Genehmigen Sie noch meine herzlichen Wünsche, für rüstige Gesundheit und Zufriedenheit, nicht nur im neuen, sondern auch auf lange Jahre, und bleiben Sie ferner gewogen Ihrem

Ew. Wohlgeboren
achtungsvoll ergebenen
Carl Overweg.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Overweg an Spohr, 24.01.1855. Spohrs Antwortbrief vom 09.01.1856 ist derzeit verschollen.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich der Poststempel „NAUMBURG A.D.S. / 6 / [1] / 7-8 A.“, auf der Rückseite des zusammengefalteten Briefumschlags befinden sich die Stempel „NAUMBURG A.D.S. / 6 / 1 / [7-8 A]“, „D.1 / 8/1“ und „CASSEL / 7 / No 56“.

[2] Vgl. C[arl] Haushalter, Geschichte des Mozart-Vereins. Denkschrift zur hundertjährigen Jubelfeier Mozarts, Erfurt und Leipzig 1856, S. 23.

[3] Zum Konzert am 13.12.1855 vgl. F4, „Leipzig“, in: Neue Zeitschrift für Musiki 43 (1855), S. 282f.

[4] „gutem“ über der Zeile eingefügt.

[5] „erregte“ über gestrichenem Wort eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.04.2022).