Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hildburghausen d. 30 Decemb. 1855

Hochwohlgeborner,
Hochzuverehrender Herr!

Bei dem beginnenden Jahreswechsel kann ich auch diesmal nicht unterlassen, Ew. Hochwohlgeboren meinen herzlichstne Glückwunsch zu dem bevorstehenden neuen Jahr ganz ergebenst darzubringen, und von ganzer Seele zu wünschen, daß die gütge Vorsehung Ihre liebsten Wünsche in Erfüllung gehen lassen möchte, und Ew. Hochwohlgeb. noch viele Jahre das Glück zu Theil wird, sich mit den lieben Ihrigen stets der kräftigsten und dauerhaftesten Gesundheit zu erfreuen, immer von jeder Annehmlichkeit verschont belibend. Besonders wünschte ich, daß die alte Gerechtigkeit wieder ihren Platz eingenommen und Ew. Hochwohlgeboren gerechte Sache, die Klage des Churfürsten betreffend ganz zu Ihren Gunsten ausgefallen ist und Sie für die erduldeten Beleidigungen in Zukunft hinlänglich entschädigt würden.1 Gerechtigkeit findet nur leider jetzt sehr selten Gehör. Hoffentlich haben Sie das verfloßne Jahr, hinsichtlich des Wohlseins, besser mit den lieben Ihrigen verlebt, als ich mit meiner Familie. Am 6 Januar wurde ich sehr krank, nach 14 Tagen meine liebe Frau und eine Tochter von 16 Jahren, worauf es nach 3 wöchentlichen Krankenlager dem Vater im Himmel gefiel, mir meine gute Frau von diesem irdischen Dasein in ein besseres Jenseits abzurufen meine jüngste Tochter und ich haben noch 4 Monate gelegen, worauf wir dann langsam, aber gänzlich genaßen. Ich glaubte nach meiner allmähligen Genesung den Verlust und die schwere Wunde, die mir das unerbittliche Geschick schlug, nicht verschmerzen zu können, doch ähnliche und traurigere Schicksale meiner Mitmenschen haben meine eignen Schmerzen einigermaßen lindern helfen, und mir endlich die Kraft verliehen, mich in Gottes allweise Macht zu fügen. – Wahrhaft stärkend und wohlthuend wirkt ein Spohrsches Adagio jetzt auf mein Gemüth und ist der heilsamste Balsam für mich. –
Recht sehr bedauerte ich, als ich Ew. Hochwohlgeboren Anwesenheit bei der Mozartstiftung in Gotha erfuhr, des Vergnügens beraubt zu sein, Ew. Hochwohlgeb. bei dieser Gelegenheit einmal wieder sehen und sprechen zu können, meine Krankheit verhinderte mich aber zu reisen, sollte mich aber der Allgütige in diesem Jahr gesund erhalten, werde ich meinen liebsten Wunsch in Erfüllung zu bringen suchen, und einmal nach Kassel reisen, um dort wieder gediegene und schöne Musik zu hören.
Wahrscheinlcih haben Ew. Hochwohlgeboren auch dieses Jahr die Welt mit mancher schönen Komposition beglückt, und leider müssen wir in unsern verwaisten Hildburghausen Alles, was nur irgend Bezug auf schöne und gehaltreiche Musik hat, gänzlich entbehren, selbst in Koburg und Meiningen kommt nur selten etwas classisches zur Aufführung, und Drehorgel Musik paradirt.
Im Voraus von Ew. Hochwohlgeboren Güte und Nachsicht überzeugt, unterstehe ich mich, ihnen einen drolligen Neujahrwunsch beizulegen, den mir im vorigen Jahr ein guter Bekannter von mir, und sehr großer Verehrer von Ihnen schrieb, ein sehr talentvoller und braver Mensch, Dr. Fr. Hofmann; Ich war damals gerade im Begriff, an Sie zu schrieben, als mich Hofmann besuchte und sogleich bat, ihm zu erlauben, für mich einen Wunsch an Sie verfertigen zu dürfen, der, wie lesen werden, höchst originell ausfiel.
Nochmals um Ew. Hochwohlgeboren Wohlgewogenheit und gütigste Vergebung meiner Freiheit bittend und die besten Segenswünsche für Sie und Ihr ganzes Haus nach wünschend, unterzeichnet mit aller Hochachtung und Ergebenheit

Ew. Hochwohlgeboren
ganz ergebenster Diener
Carl Mahr.

Autor(en): Mahr, Johann Christian Carl
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Hofmann, Friedrich
Mahr, Friederike
Mahr, Georgine
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855123040

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Mahr an Spohr, 30.12.1853. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Mahr an Spohr, 30.12.1857.

[1] Vgl. Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 348ff.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.04.2022).