Autograf: The Pierpont Morgan Library New York (US-NYpm), Sign. MFC S762.V627

Monsieur
Monsieur Gabriel Vicaire
Rue Croix des-petits Champs
Nro 5
Paris.

franco.


Kassel den 10ten November
1855.

Hochgeehrter Herr,

Das Zutrauen, mit dem welchem Sie sich in Ihrem Kummer an mich, an einen Ihnen ganz Fremden wenden, hat mich auf das Innigste gerührt und erfreut! O mögte es doch meiner herzlichsten Theilnahme gelingen Ihren Kummer in etwas zu erleichtern!
Glauben Sie es der Erfahrung eines 71jährigen Greises: jeder irdische Kummer wird durch die Zeit gelindert und zuletzt geheilt; aber man darf sich ihm nicht willenlos überlassen. Eine vermehrte Thätigkeit in seinen Berufsgeschäften, oder wenn man solche nicht hat, ein eifriges Studium zur Vermehrung seiner Kenntnisse und Einsichten kommt der Zeit am wirksamsten zu Hülfe. Sie haben, wie Sie mir schreiben, Musik mit Eifer, ja mit Leidenschaft getrieben, und es ist diese Kunst vor allen andern geeignet ein leidendes Gemüth zu beruhigen. Erneuern Sie Ihre Thätigkeit in der Musik, sei es das Studium eines Instruments oder der Theorie, und sie werden bald ein erneutes Interesse daran nehmen, und sich von Ihren traurigen Gedanken abgezogen fühlen. – Der größte Schmerz, den Sie erlebt haben, ist freilich der Verlust eines geliebten Herzens! Aber bey Ihrer großen Jugend können und werden Sie auch dafür noch Ersatz finden, hat nur die Zeit erst den ersten heftigen Schmerz gelindert! Kommen Sie ihr zu Hülfe, indem Sie sich einer nachhaltigen geistigen Thätigkeit hingeben!
Bey der großen Theilnahme, die mir Ihr Zutrauen eingeflößt hat, wird es mich sehr freuen, in einiger Zeit wieder Nachricht von Ihnen zu erhalten.
Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Vicaire, Gabriel
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855111016

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Vicaire an Spohr, 06.11.1855.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.05.2018).