Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Innsbruck am 6. November 855.

Euer Wohlgeboren
Hochverehrtester Herr!

das geschätzte Schreiben Euer Wohlgeboren v. 29. April d. J. erhielt ich auf dem Lande, einige Stunden von der Hauptstadt entfernt, während eines amtlichen Kommissionsgeschäftes, welches mich dort bis Ende Oktober mit wenigen Unterbrechungen festhielt.
In die Hautpstadt zurückgekehrt geinne ich denn wieder meine Thätigkeit auf musikalischem Gebiethe und nehme mir nun gleich die Freiheit, einige Zeilen an Euer Wohlgeboren zu richten.
„Jessonda“ wurde im Ganzen bei überfülltem Hause und erhöhtem Eintritspreise 4 mahl und bei gewöhnlichen Preisen 1 mal, mithin 5 mal gegeben. Die Wirkung steigerte sich von Aufführung zu Aufführung und auch dermalen noch wird häufig am 4händigen Auszuge oder in andern Formen dem Meisterwerke gehuldiget.
Studium und Aufführung derselben bleibt uns unvergeßlich – die große Mühe, welche wir darauf anwandten, wurde reichlich belohnt und wie scheuen durchaus keine Anstrengung, um uns derartige Genüsse zu bereiten, weshalb ich mir folgende Anfrage erlaube:
Euer Wohlgeboren haben uns in obenerwähnten Schreiben das Studium eines Ihrer 3 Oratorien eingerathen und vorgeschlagen.
Wir haben diesen Vorschlag mit Begeisterung aufgenommen und sind dermalen eben daran, selben auszuführen.
Da wir aber keines der Oratorien kennen, müssen wir die Freundlichkeit Euer Wohlgeboren in Anspruch nehmen und bitten, die in denselben vorkommenden Solopartien in ganz kurzen Umrissen zu schildern, den Grad der Schwierigkeit d. Chorführung derselben sowohl , als auch der Chöre u überhaupt des Ganzen etwas näher zu bezeichnen und sofort eines der Werke zum Studium vorzuschlagen.
Weiters erlaube ich mir anzufragen, wo der Klavierauszug zu beziehen ist und ob nicht gleich schon Einige Exemplare herausgeschriebener Gesangsparte zu bekommen sind, da uns das Copiren wieder einige Monate kostbare Zeit raubt.
Da wir ferner gleich mit Streichquartettbegleitung zu beginnen gedenken, die Anschaffung derselben aber große Auslagen versursacht und man am Ende doch nichts Ganzes hat, erkühne ich mich mit der Anfrage ob wir selbe nicht von Euer Wohlgeboren gegen Garantie unversehrter Rückstellung erhalten könnten – ein Ansinnen, das ich mir kaum zu stellen wage, um so weniger, als Euer Wohlgeboren Partitur u Orchesterstimmen für eine seinerzeitige Aufführung zu schicken die Gewogenheit haben, wie Sie in erwäjntem Briefe zusicherten.
Schließlich erlaube ich mir die Bitte beizufügen, ehegefälligst einige Zeilen an mich gelangen zu lassen, damit wir schnell ans Werk gehen können.
Indem ich wegen meiner Freiheit um Entschuldigung bitte, zeichne ich mich mit vorzüglicher Hochachtung als

Euer Wohlgeboren
ergebenster Diener
Dr Leiter

Adresse: Dr Josef Leiter, Beamter bei der Kreisbehörde in Innsbruck.

Autor(en): Leiter, Josef
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Der Fall Babylons
Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Spohr, Louis : Jessonda
Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte: Innsbruck
Erwähnte Institutionen: Cäcilienverein <Innsbruck>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855110646

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Leiter, 29.04.1855. Spohrs Antwortbrief vom 30.11.1855 ist derzeit ebenfalls verschollen.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.11.2022).