Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Gruetzmacher
Druck: Simon Moser, Das Liedschaffen Louis Spohrs. Studien, Kataloge, Analysen, Wertungen. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Kunstliedes, Kassel 2005, Bd. 1, S. 78 (teilweise)

Leipzig, d. 28 October, 1855.

Hochgeehrtester Herr Hofkapellmeister!

Von dem Chef der hiesigen renomierten und sehr bedeutenden Payne‘schen Kunstanstalt bin ich mit der Redaction und ausschließlichen Leitung eines musikalischen Verlags-Unternehmens betraut worden, welches unter dem ungefähren Titel:

Album für Musik
Sammlung ausgewählter Compositionen
der bedeutendsten Componisten der Gegenwart

binnen kurzem in regelmäßig fortlaufenden, halbmonatlichen Lieferungen erscheinen soll. Jede einzelne Lieferung wird 4 Bogen Musik, und zwar nur Originalcompositionen, enthalten und jedesmal eine artistische Beilage, (Stahlstich,) das Portrait eines berühmten Musikers der Gegenwart bringen, in trefflicher, großer Ausführung.
Ich weiß freilich nicht, ob ich das Vergnügen habe, wenigstens dem Namen nach bereits von Ihnen gekannt zu sein, darf Ihnen aber die aufrichtige Versicherung ertheilen, daß es mir stets Ernst um die wahre Kunst war, und daß ich auch in meiner jetzt übernommenen Stellung allein das wahrhaft Gute nach Kräften fördern und haben will, so daß das herauszugebende Werk allen künstlerische Ansprüche vollkommen genügen, einem in jeder Hinsicht ehrenhaften Platz in der Musikliteratur behaupte und sich die Gunst und Achtung des Publikums ganz gewiß erringen soll.
In dieser Voraussetzung erlaube ich mir an Sie die Bitte zu richten, uns zu genanntem Zwecke auch mit einigen Ihrer vortrefflichen, allgemein so hochgeschätzten Compositionen erfreuen und unterstützen zu wollen; da das projectirte Werk jedoch für das möglichst größte musikalische Publikum bestimmt und berechnet ist, so würden uns namentlich einige recht ansprechende und nich zur schwere Lieder am willkommensten sein, ohne Ihnen jedoc in Ihrer freien Wahl Schranken anlegen zu wollen, indem das Werk auch Pianoforte-Musik, oder sonst Ihne zu diesem Zwecke passend erscheinende Stücke umfassen wird.1
Da, wie ich schon früher bemerkte, auch jedes einzelne Heft von dem Portrait eines berühmten Musikers begleitet sein soll, so ergeht ferner unsre ergeben und herzliche Bitte an Sie, uns zu erlauben, zu einem der ersten Hefte auch Ihr werthes Portrait beileg[en zu] können und zu diesem Zwecke müßten wir Sie freilich ebenfalls recht dringend um die Gefälligkeit ersuchen, uns ein treues Bild, (vielleicht Photographie, und natürlich auf unsre Kosten,) anfertigen und gleichfalls recht bald zukommen zu lassen, da die Ausführung in Stahl doch noch längere Zeit in Anspruch nimmt.
Ich weiß, daß wir Ihne durch unser Ansinnen sehr viel zumuthen, erblicken Sie auf der anren Seite darin aber auch ein Zeichen der großen Verehrung, welche ich und wir Alle aufrichtig für Sie empfinden und sein Sie überzeugt, daß wir Ihre große Freundlichkeit gewiß vollkommen würdigen und Ihnen zum größten Danke verpflichtet sein werden.
Die Ausführung und Ausstattung des Musikwerkes sowohl, als das Portraits wird eine Ihres Namens würdige und sehr elegante sein, und Bürgschaft dafür, daß Ihr geehrter Name in würdiger Gesellschaft erscheint mag Ihnen noch das sein, daß bereits die Herren Jul. Rietz2, N. Gade, H. Marschner3, F. Hiller4, Rob. Franz5, M. Hauptmann, St. Heller, C. Reinecke6, A. Rubinstein u. A. m. Ihre freundliche Betheiligung an dem Werke sowie musikalische Beiträge zugesagt haben.
Freilich würde der Unternehmer für den Anfang noch nicht im Stande sein, da das ganze, sehr umfangreiche Unternehmen seine Finanzen in hohem Grade in Anspruch nimmt, (und er doch vorläufig keine andere Garantie für die rege Betheiligung des Publikums hat, als das Vertrauen zu dem guten Geschmacke desselben, welchem er nur Gutes und Ausgezeichnetes zu bieten entschlossen ist,) sehr bedeutende Honorare zu zahlen, doch zweifle ich durchaus nicht, daß bei gegentheiligem freundlichen und billigen Entgegenkommen ein günstiges, beide Theile befriedigendes Resultat gewiß erzielt werden wird.
Ich ersuche Sie also schließlich, mir gefälligst recht bald Ihre freundlichen, hierauf bezüglichen Mittheilungen zugehn zu lassen, uns, wo möglich, mit einem unsern Wünschen entsprechenden Manuskripte zu erfreuen, Ihre nähere Bedingungen gefälligst gleich beizufügen und sich der größten Dankbarkeit und Hochachtung versichert zu halten

Ihres ganz ergebenen
Fr. Grützmacher.
Lehrer am Conservat. d. Musik.

Autor(en): Grützmacher, Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Franz, Robert
Gade, Niels
Hauptmann, Moritz
Heller, Stephen
Hiller, Ferdinand
Marschner, Heinrich
Payne, Albert Henry
Reinecke, Carl
Rietz, Julius
Rubinstein, Anton
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Lieder, Gsgst Kl, WoO 124
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Payne <Leipzig>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855102844

Spohr



[1] Vgl. Louis Spohr, „Lied (aus der Novelle: ,Bühne und Haus‘ von Auguste Linden)“, in: Payne‘s Album für Musik, Leipzig und Dresden [1858], S. 36ff.

[2] Julius Rietz, „Andenken“, in: ebd., S. 2f.; ders., „An die Rose“, in: ebd., S. 4-7; ders., „Trost im Scheiden“, in: ebd., S. 149ff.; ders., „Ein Stündlein wohl vor Tag“, in: ebd., S. 152f.

[3] H[einrich] Marschner, „Lied“, in: ebd., S. 22f.; ders., „Vorgefühl“, in: ebd., S. 24-27; ders., „Notturno“, in: ebd., S. 107.

[4] Ferdinand Hiller, „Rondino Capriccioso“, in: ebd., S. 28-35.

[5] Robert Franz, „Wenn ich auf dem Lager liege“, in: ebd., S. 126; ders., „Es fällt ein Stern herunter“, in: ebd., S. 128.

[6] C[arl] Reinecke, „Serenade“, in: ebd., S. 8-21.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.06.2018).