Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
d. 27ten Septbr. 1855.
Hochgeehrter Herr Kapellmeister,
Mit unendlichem Bedauern erhielt ich im Sommer die Nachricht, daß sie durch Hamburg gekommen seien, während weder ich noch meine Mutter das Glück zu Theil wurde, Sie hier begrüßen zu können1; es ist nun wieder so lange her, seit ich Sie zuletzt gesehen, daß ich vor Begierde brannte, wieder Ihr herrliches Spiel zu hören, jetzt muß ich mich freilich mit dem elenden Trost begnügen, daß ich vielleicht im Verlauf des Winters einmal nach Cassel verschlagen werde.
Sie sind mir stets ein väterlicher Freund gewesen, der mich mit Liebe und Güte überhäufte, daß ich mich mit dem vollsten Vertrauen an Sie mit einer neuen Bitte wende. Das Studium der Composition, dessen Grundregeln Sie mir vor 6 Jahren einprägten, hat, obgleich ich unausgesetzt thätig dabei war, mir doch stets mehr Kopfschmerzen als Vergnügen gemacht, und besonders war es das schaffende Talent, was mir fast gänzlich fehlte; es ist nun ungefähr ein Jahr her, daß ich angefangen, selbst kleinere Sachen für mein Instrument zu schreiben, und würde es mir von unendlichem Vortheil und eine große Aufmunterung sein, wenn Sie, Herr Kapellmeister, sich die Mühe geben wollten, einiges von diesen Stücken durchzusehen, und mich auf die gröbsten Fehler aufmerksam zu machen. – Ich bin so frei, beifolgend u. a. die Partitur eines Concertino’s für Violoncello zu schicken, daß ich erst ganz kürzlich beendet habe, und daß ich gerne im nächsten Winter einmal öffentlich gespielt hätte, doch würde ich es nie wagen, ohne erst ein Urtheil darüber von Ihnen, Herr Kapellmeister gehört zu haben, es ost besonders die allgemeine Anlage – die Form, und dann die Instrumentirung über welche ich Sie um Ihre gütige Meinung ersuche; ich denke wohl, daß ich genug Ton auf meinem Instrumente habem um es mit den Blasinstrumenten, die ich vielleicht etwas häufig angewandt habe, aufnehmen zu können, – die beiden anderen kleinen Stücke sind ein Andante und ein Bolero. Ich hoffe, Herr Kapellmeister, daß Ihnen die Erfüllung meines Wunsches nicht zu viel Zeit rauben wir bei Ihren vielen Beschäftigungen, und wagte ich es überhaupt nur, ihn auszusprechen, in Rücksicht auf Ihre stete Bereitwilligkeit, junge Künstler zu unterstützen. Ich war vor einigen Wochen mit meinem Freund Schmidt im Seebade Norderney, wo wir auch zusammen einmal bei Hofe spielten, was Schmidt ja auch nur Ihrer freundlichen Empfehlung an Kapellmeister Wehner verdankt! – Meine Mutter läßt sich Ihnen und Frau Kapellmeister empfehlen, und bittet Sie auch noch um Entschuldigung, daß sie Sie im Sommer mit einer Bitte belästigte, ohne jedoch zu wißen, daß Ihr Aufenthalt hier nur so kurz sein würde; Schmidt hat übrigens hier bei Sauke neulich ein ausgezeichnetes Instrument gefunden, welches meine Mutter auch schließlich gekauft hat, ein Stradivarius, ein wahrer Pracht-Exemplar, nicht dieselbe, die Schmidt im Winter mit nach Cassel nahm, sondern ungleich schöner, wenn ich meinen Freund nicht so lieb hätte, könnte ich neidisch auf sein Instrument werden.
In der Hoffnung, Sie werden mich nicht ganz ohne Nachricht von Ihnen lassen, geehrter Herr Kapellmeister, verbleibe ich, mit freundlichen Grüßen an Frau Kapellmeister
Ihr Sie hoch verehrender und ergebener
Bernard Hildebrand-Romberg.
Schmidt und Bernhardine2 tragen mir auch noch freundliche Grüße auf.
Hamburg, 7. Rathhausstrasse.
Autor(en): | Hildebrand-Romberg, Bernhard |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Hildebrand-Romberg, Bernhardine Sauke, Julius Schmidt, Fritz Wehner, Arnold |
Erwähnte Kompositionen: | Hildebrand-Romberg, Bernhard : Andante, Vc Orch Hildebrand-Romberg, Bernhard : Bolero, Vc Orch Hildebrand-Romberg, Bernhard : Concertino, Vc Orch |
Erwähnte Orte: | Hamburg Norderney |
Erwähnte Institutionen: | |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855092743 |
Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Hildebrand-Romberg an Spohr, 30.03.1855. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.
[1] Vgl. Berhardine Hildebrand-Romberg an Spohr, 27.06.1855.
[2] Schmidts Schwester Bernhardine, später verh. Schmidt.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.07.2024).