Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Elberfeld d. 19 September
1855

Hochzuverehrender Herr
General-Musikdirektor!

Wenn Sie nach 23 Jahren von Einem Ihrer frühern Schüler die erste Zeile zu Gesicht bekommen, wenn er erst nach so langer Zeit seine Gefühle der Ehrfurcht u. Dankbarkeit für frühere Wolthaten ausspricht so scheint es, als sei dieser Schüler ein höchst undankbarer Mensch, dem alle Pietät für seinen würdigen Lehrer, dem er so unendlich viel schuldig, mangelt, allein Gott sein Dank, es scheint nur so, denn ich kann mir getrost das Zeugniß zollen, daß ich an inniger Liebe, Verehrung für Sie, keinem der übrigen Schüler nachstehe. Wie oft hätte ich früher in der Stunde so gerne mein Herz geöffnet, u. gesagt, wie unendlich hoch ich Ihre Compositionen schätze, wie viel Trost in mancher bedrängten Lage meines Lebens sie mir schon gewährt, allein eine gewisse Schüchternheit verschloß mir den Mund. Lebhaft fühle ich noch den unbeschreiblichen Eindruck, den Ihr E dur Quartett, gespielt in Crefeld von Leon de St. Lubin, auf mich als Knabe von 16 Jahren machte. Die Thränen liefen mir damals über die Wangen ohne sie stillen zu können, von da wuchs nun meine Verehrung, wo ich nur etwas erhaschen konnte von Ihren Compositionen war ich immer bereit mich der größten Mühe zu unterziehen. Meine Eltern welche zu arm waren um mir Musikalien zu kaufen, welche Mühe hatten mir Notenpapier zu geben, bewilligten eine Zeit, in den Nebenstunden – bei Tage half ich meinem Vater im Schneiderhandwerk – abzuschreiben. Auf diese Weise setzte ich mich schon damals in Besitz vieler Ihrer Compositionen, ohne eine Zeile ordentlich schreiben zu können, was aber nichts half, ich mußte die Sachen besitzen. Von dieser Zeit an schreibt sich nun der geistige Verkehr her, in dem ich mich bis auf diesen Augenblick noch immer mit Ihnen befinde. Mit dieser Verehrung hatte sich aber früh schon in Beziehung auf Ihre Person ein gewißes Gefühl der Unnahbarkeit verknüpft, so daß ich in Ihrer Nähe immer etwas Schüchternes empfand was bis zur letzten Stunde mich anhielt. Ich würde auch vielleicht jetzt noch nicht dazu gekommen sein, meinem Herzen freien Lauf zu laßen, wenn ich nicht im vorigen Herbste von einem Freunde, Professor Rempel aus Hamm, mit dem Sie zufällig in Caßel in Gesellschaft gewesen, erfahren, daß Sie sich damals noch meiner erinnert hätten. Die nächste Veranlaßung zu diser meiner Dreistigkeit Sie mit diesen Zeilen zu behelligen ist Überbringer dieses, van Eyken, ein ausgezeichneter Orgelspieler, Schüler v. Hauptmann in der Compositionslehre, der ein eben so warmes Herz für Ihre Compositionen hat als ich, u. der den sehnlichen Wunsch gehegt seit langer Zeit, Sie persönlich kennen zu lernen. Seit 5 Jahren habe ich meine Stellung in Hamm daran gegeben, u. bin einem Rufe hieher gefolgt, wo ich freilich nur als Lehrer fungiere, u. leider auf alle Directionsthätigkeit verzichten muß. In Hamm glaubte man im Jahre 49 allgemein, daß der dortige Apellhof aufgehoben werden würde, wodurch dort meine Wirksamkeit fast ganz vernichtet worden wäre, weshalb ich denn um so eher mich hier in Elberfeld ansiedelte. Ich bin auch sehr zu frieden hier, u. habe ich auch einen Theil meiner geliebten Thätigkeit dadurch verloren, so bietet mir dafür Elberfeld in anderer Beziehung großen Ersatz. Vor allen Dingen wird die Quartettmusik hier recht gepflegt u. namentlich in dem Kreise wo ich die musikalischen Abende zubringen werde vor allen Dingen Ihre Quartetts u. Quintetts u. Doppel-Quartetts so auch Ihre Compositionen für Clavier sehr viel gespielt. Ihr großes d moll Quintett für Pianoforte war vorigen Sommer fast unser tägliches Brod. Es geht mir wie einem Ihrer größten Verehrer von Ihnen, ein gewissser Herr v. Bronikowsky, der schon früher an Sie geschrieben, ich möchte namlich gern im Besitze Ihrer sämmtlichen Werke sein, dieser alte Herr v. Bronikowsky ist höchst unglücklich, wenn er von einer Composition von Ihnen hört, die er noch nicht besitzt. Ein außerordentlicher Verehrer Ihrer ist unser hiesiger Musikverleger Dr Arnold, der zwar Ihre Werke für Violine nicht von selbst(?) bewältigen kann, aber sie geistig so auffaßt als man es nur verlangen kann.– Ich weiß nicht, ob es nicht eine Art Vermeßenheit von mir, Sie zu bitten, mir gelegentlich einige Zeilen von Ihrer Hand1 gütigst zukommen zu laßen, allein das weiß ich gewiß, daß Sie dadurch würden eine wahre Festtagsfreude bereiten

Ihrem
Sie innigst verehrenden
dankbaren Schüler
Buhlmann

Autor(en): Buhlmann, Peter
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Arnold, Friedrich Wilhelm
Eyken, Jan Albert van
Hauptmann, Moritz
Oppeln-Bronikowsky, von
Rempel, Friedrich
Saint-Lubin, Léon de
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 43
Spohr, Louis : Quintette, Vl 1 2 Va Vc Kl, op. 130
Erwähnte Orte: Elberfeld
Hamm
Kassel
Krefeld
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855091940

Spohr



[1] „Hand“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (24.10.2019).