Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Roda:3

Hamburg d. 31t July

Hochgeschätzter Herr Hofcapell-Director!
Verehrter Meister!

Kaum werden Sie meiner Versicherung Glauben schenken, daß Sie seit Ihrer Abreise von hier1, fast ununterbrochen der Gegenstand meiner Gedanken gewesen sind; und doch ist dem wirklich so.
Indeß bin ich nicht der Einzige dem Ihre Gegenwart in Hamburg so große Freude bereitet hat. Jeder der Sie heir gesehen und gehört, spricht mit derselben Liebe und Verehrung von Ihnen. Würdiger Mann! Der Himmel lasse Sie diesen Seegen Ihres edlen Wirkens als Mensch und Künstler, recht lange genießen! Niemand verdient mehr als Sie, so geliebt zu werden! - Was nun am häufigsten meine Gedanken an Sie gefesselt hat, ist der lebhafte Wunsch meines Herzens: Ihnen für Ihr aufmunterndes Entgegenkommen ein öffentliches Zeichen meiner Dankbarkeit und Verehrung geben zu können. In dieser Idee wage ich es nun, Ihnen anbei zwei meiner Werke zuzusenden mit der Bitte: das jenige, welchem Sie den Vorzug geben, Ihnen dediciren zu dürfen. Möchte eins oder das andere würdig solcher Annahme seyn!! - Hinsichtlich der Cantate2 muß ich bemerken, daß der Dichter3, und durch die Kürze der Zeit (, 3 Monat) bedingte Eile, mir wenig günstig war. Nach meiner Angabe sollte das geistliche Lied, (Choral), auf alle menschlichen Situationen, wo selbige sich mit ehtischen und kirchlichen Beziehungen verknüpfen lassen, angewandt werden. Diesen Bedingungen hat nun der Dichter oft nicht genügt, oft sich willkürlich entzogen, und überhaupt wenig begeisternde Poesie mir geboten. Da Sie ofters auch hier das eingeschaltete „Ja“ vorfinden werden, so sey mir erlaubt als einzige Apologie anführen zu dürfen, daß ich desselben stets nur als Climax anzuwenden pflegte. Uebrigens hat bei den sanctionirten willkührlichen Gebrauch in Anwendung musicalischer Texte, fraglich Aesthetik und Natur oft ein suspensives Veto4 abzugeben. Fast bin ich geneigt diesen Uebelstand, wenn er nicht zu häufig vorkommt, mit unter die malii necessita5 zu rechnen. Doch verehrter Meister! drücken Sie bei diesen und andern Fehler ein Auge zu, was wollte sonst Ihren Scharfblick entgegen!? - Die Simphonie entspringt einer frühen Periode und war eine der ersten größeren Compoistions Arten an die ich mich wagte, als ich zuerst in Braunschweig es mit der Feder versuchte. Selbige kam hier dreimal zur Aufführung. - Sobald ich Ihr entscheidendes Urtheil über beyde Arbeiten vernommen, was mich durch Erfüllung meiner Bitte und meines Wunsches beglückt sehe, werde ich sogleich versuchen für Veröffentlichung des bevorzugten Werkes einen Verleger zu finden. Leider nun ist mein obscurer Name in der musikalischen Welt, noch immer mit ein Umstand gewesen, der die Verleger stutzig machte. Da nun Leipzig (obwohl per fas et nefas6) das Monopol sich aneignet, Namen u. Verdienste in die Welt auszuposaunen, wozu seine vielen Blätter Gelegenheit geben, so habe ich mir nun mehr dennoch Muth einreden lassen, um eine Aufführung meines Sünders in Leipzig nachzusuchen, und Hrn Hauptmann den ich sehr verehre, und zu dem ich einzig Vertrauen habe, in nächster Zeit zu schreiben. Sollten Sie mit demselben in brieflicher Beziehung stehen, so würden Sie mich wahrhaft erfreuen wenn Sie mein Gesuch gütigst bevorworten möchten. Sicherlich die beste Empfehlng für mich und mein Werk! Doch warte ich auch gern Ihre Meynung über diesen gefassten Schritt ab. Sie sind bisher zu einflußreich auf meine junge Seele gewesen, als daß ich nicht annehmen könnte daß Sie auch über mein Geschick Vieles vermögen. Gute Menschen sind immer die mittelbare Hülfe Gottes und seien es unsere Engel. - Hoffentlich haben Sie und Ihre Frau Gemahlin (die meine Frau u. ich von Herzen grüßen) die Reise wohl und zufrieden zurückgelegt. Der 25t 26t 27t u. 28t Juni7 wird uns unvergeßlich bleiben, mit herzlicher Ergebenheit und Veerehrung werde ich

Ihren dankbaren Ferdinand von Roda.

Autor(en): Roda, Ferdinand von
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Hauptmann, Moritz
Prätzel, Karl Gottlieb
Erwähnte Kompositionen: Roda, Ferdinand von : Sinfonien
Roda, Ferdinand von : Der Sünder
Roda, Ferdinand von : Theomela
Erwähnte Orte: Braunschweig
Hamburg
Leipzig
Erwähnte Institutionen: Gewandhausorchester <Leipzig>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855073144

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Roda an Spohr, 19.06.1855. Spohr beantwortete diesen Brief am 12.08.1855.

[1] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheinträge 26.-28.06.1855; Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 371.

[2] Vermutlich Theomela.

[3] Karl Gottlieb Prätzel.

[4] „suspensives Veto“ = lat. für aufschiebender Einspruch.

[5] „mali necessita“ = lat für notwendige Übelstände.

[6] „ fas et nefas“ = lat. für Gutes und Böses.

[7] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheinträge 26.-28.06.1855; Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 371.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (28.06.2018).