Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,283
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 379f. (teilweise)

Frankfurt, 21 Juli 1855.

Theurer Freund!

Wie sehr habe ich mich gefreut, endlich einmal Nachrichten von Ihnen zu erhalten, und wie wohl thut es mir, da wir uns nicht sehen können, Ihre Handschrift wieder einmal zu sehen. Schon oft hatte ich mir vorgenommen, Sie in Cassel zu besuchen, allein, Sie sagen es ja selbst, im Alter sehnt man sich nach Ruhe. Diese Ruhe finde ich aber, seit man mich wider meinen Willen in die Theaterströmung gezogen hat, selbst hier nicht. Wir haben große Schwierigkeiten zu überwinden und es gehört viel Selbstüberwindung dazu, um nicht die Geduld zu verlieren.
Ihre Empfehlung des Herrn Biberhofer habe ich dem Comite mitgetheilt u. wir haben ihn zu einer Sitzung eingeladen. Er hat uns allen sehr gut gefallen und da Ihre Empfehlung sehr berücksichtigt wird, so würde Hr Biberhofer gewiß Chancen haben, seinen Wunsch erfüllt zu sehen, wenn nicht Unterhandlungen mit andern sehr bedeutenden Concurrenten1 entgegen ständen. Diese Unterhandlungen sind noch in der Schwebe, und sollten sie zu keinem Abschlusse kommen, so werde ich alles was in meinen Kräften steht für Hrn Biberhofer thun.
Durch die Bildung einer Actiengesellschaft ist es uns gelungen das Interesse für das Theater neu zu beleben.2 Durch eine anständige Herrichtung des Hauses hoffen wir zahlreiche Logen-Abonnements zu erhalten, und ein finanzielles Comite überwacht die ökonomische Leitung. Gelingt es uns einen tüchtigen Intendanten zu finden der unabhängig nur die Interessen der Kunst zu fördern hat, so läßt sich etwas machen, da hier der Sinn für die Bühne nicht erkaltet ist. Dann hoffe ich noch in meinen alten Tagen Lieblingswünsche aus der Jugendzeit in Erfüllung gehen zu sehen.
Herzliche Grüße von den Meinigen u. die Versicherung unwandelbarer Freundschaft u. Liebe

von Ihrem treu ergebenen
WmSpeyer.

Autor(en): Speyer, Wilhelm
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Benedix, Roderich
Biberhofer, Eduard
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Erwähnte Institutionen: Stadttheater <Frankfurt am Main>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855072132

https://bit.ly/

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Speyer, 14.07.1855. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Speyer an Spohr, 02.10.1855.

[1] Vermutlich Roderich Benedix, der im gleichen Jahr Frankfurter Intendant wurde.

[2] Vgl. „Frankfurt a.M.”, in: Süddeutsche Musik-Zeitung 4 (1855), S. 112; dazu auch „Frankfurter Theaterzustände”, in: ebd., S. 42ff.; F.J.K., „Aus Frankfurt a.M.”, in: ebd., S. 78; „Aus Hamburg. Ende Juni”, in: ebd., S. 122f., hier S. 122.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.03.2016).

Frankfurt, 21. Juli 1855.

Wie sehr habe ich mich gefreut, endlich einmal Nachrichten von Ihnen zu erhalten, und wie wohl tut es mir, da wir uns nicht sehen können, Ihre Handschrift wieder einmal zu sehen. Schon oft hatte ich mir vorgenommen, Sie in Cassel zu besuchen, allein, Sie sagen es ja selbst, im Alter sehnt man sich nach Ruhe. Diese Ruhe finde ich aber, seit man mich wider meinen Willen in die Theaterströmung gezogen hat, selbst hier nicht. Wir haben große Schwierigkeiten zu überwinden und es gehört viel Selbstüberwindung dazu, um nicht die Geduld zu verlieren.
Durch die Bildung einer Aktiengesellschaft ist es uns gelungen, das Interesse für das Theater neu zu beleben. Durch eine anständige Herrichtung des Hauses hoffen wir zahlreiche Logenabonnements zu erhalten, und ein finanzielles Komitee überwacht die ökonomische Leitung. Gelingt es uns einen tüchtigen Intendanten zu finden, der unabhängig nur die Interessen der Kunst zu fördern hat, so läßt sich etwas erzielen, da hier der Sinn für die Bühne nicht erkaltet ist. Dann hoffe ich noch in meinen alten Tagen Lieblingswünsche aus der Jugendzeit in Erfüllung gehen zu sehen ...