Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochwohlgeborner,
Hochgeehrter Herr Kapellmeister!

Durchdrungen von der liebevollen und freundlichen Aufnahme die Ew. Hochwohlgeboren mir gewährten1, und von der gütigen Theilnahme die mich so beglückte, bin ich so frei, Ihnen meinen tief gefühltesten, innigsten Dank für die vielen Bemühungen und all Ihre Güte und Wohlwollen auszusprechen, indem ich auf Ihre huldvolle Entschuldigung hoffe, Sie, hochgeehrter Herr, mit einem Briefe belästigend. – Entzückt in der Rückerinnerung Ihrer Freundlichkeit und so glücklich Ihre, hochgeehrter Herr Kapellmeister, und Ihrer sehr werthen Frau Gemahlin liebenswürdige und so sehr schätzenswerthe Bekanntschaft gemacht zu haben, mangelts mir an Worten meine Gefühle darüber auszudrücken, aber um so tiefer empfindet mein so viel entbehrendes, den zärtlichsten, sorgendsten Vater verloren habendes Herz das Wohlthuende und Erhabende Ihrer freundlichen Theilnahme an unserm so harten Schicksale. Aus der so angenehm und sorglos verlebten Jugendzeit hat sich jetzt das Leben lötzlich von der ernsten Seite enthüllt, und gebietet mit Selbständigkeit und Entschlossenheit zu denken und zu handeln; ach, und so oft ist da der Unerfahrene voll Zweifel und Unruhe, welchen Weg man zu wandeln und welches Mittel man zu ergreifen habe, um die liebe Mutter und sich selbst noch einmal glücklich zu machen, und besonders ersteres schrecklichen Verlust zu lindern. Entscheidend hat nun Ew. Hochwohlgeboren Ansicht, gütigst damals ausgesprochen über meine Stimme, gewirkt, und ist die L. Mutter sowohl wie ich fest entschlossen Alles zu thun, um die Ausbildung möglich machen zu können. Madame Charvin in Paris zuerst in Anspruch nehmen wollend, bin ich so frei, Sie hochgeehrter Herr, noch einmal um Ihre sehr gewichtige Empfehlung zu ersuchen; wenn Sie mir gütigst auch einem Zettelchen bemerken wollten, daß ich bei Ihnen, hochgeschätzter Herr, gesungen und Sie die Ausbildung für erfolgreich hielten; einige Zeilen von Ew. Hochwohlgeboren geschrieben würden gewiß Mdme Charvin recht bestimmen etwas für mich zu thun; sollte sie aber die Bitte abschlagen, dann habe ich vorgenommen, durch Madames Verwendung eine Stelle als deutsche Gouvernante in Paris zu suchen und von dem dadurch verdienten Gehalt den Musik-Unterricht möglichst zu bestreiten, einen bessern Weg wüßte ich wirklich nicht zum Zweck zu kommen! Ew. Hochwohlgeboren nochmals bittend, meine vielen Bekräftigungen doch liebevoll entschuldigen, die aus dem tiefsten Herzensgrunde steigenden Dankesgefühle freundlichst genehmigen und der lieben Mutter und meine verbindlichsten Empfehlung an Sie hochgeehrter Herr Kapellmeister, und Ihre sehr geschätzte Frau Gemahlinn empfangen zu wollen, verharret in dankbarster Hochachtung

Ew. Hochwohlgeboren
ergebenste
Bernhardine Biermann

Warburg. d. 15ten Juny 1855.

Autor(en): Biermann, Bernhardine
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Biermann, Fanny
Biermann, Franz
Charvin
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855061544

Spohr



Spohr beantwortete diesen Brief mit seinem Zeugnis vom 17.06.1855.

[1] Vgl. Fanny Biermann an Spohr, 06.05.1855.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.03.2023).