Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Schletterer,H.M.:06

Hochwohlgeborner,
Hochgeehrtester Herr!

Mit Bedauern muß ich bekennen, daß ich die Güte und das freundliche Zutrauen Ew. Wohlgeboren schwer gemußbraucht habe. Obwohl ich innigst wünsche, daß meine Entschuldigungsgründe der Art sein möchten, daß sie mich in Ihren Augen rechtfertigen könnten, füge ich ihm doch noch die unständige Bitte um besonders freundliche Nachsicht bei.
Die Aufführung des Oratoriums konnte vielfacher Hindernisse wegen leider erst nach Ostern und zwar erst am zweiten Mai stattfinden. Diese Aufführung befriedigte und gefiel so sehr, daß allgemein eine Wiederholung und nochmalige Vorführung des herrlichen Werkes gewunschen(?) wurde; so habe ich denn von Woche zu Woche auf einen günstigen Tag gehofft, der es uns möglich gemacht hätte den Wünschen des Publikums zu entsprechen; aber im vorigen Monat waren allwöchentlich Extravorstellungen im Theater mit berühmten Gästen und dann kamen die Pfingst[???]ngen und seit Pfingsten – hier eine besondere Seltenheit – ein fortwährend herrliches Wetter und eine fast unerträgliche Hitze, so daß am Abend alles in die Berge hinausströmt und es also fast unmöglich ist, eine vollständige Probe oder ein besetztes Concert zu bekommen.
Wir hatten bei der Aufführung des Oratoriums 30 Soprane 24 Alt- 20 Tenor und 32 Baßstimmen, dazu 6 erste und 6 zweite Violinen, 4 Violen, 5 Celli und Bässe. Das Blasorchester war vollständig besetzt; der erste Oboist und erste Fagottist kamen von Stuttgardt zum Concerte extra hieher. Die Solostimmen wurden von hiesigen Dilettanten gesungen.1
Im Laufe des Sommers wird uns nun eine Wiederholung des Oratoriums nicht mehr möglich werden. Im Vertrauen auf Ihr gütiges Anerbieten uns die Stimmen nochmals leihen zu wollen, darf ich mich vielleicht der Hoffnung hingeben, im nächsten Winter eine nochmalige Vorführung Ihres schönen Werkes in Aussicht stellen zu dürfen. Im Laufe des Sommes werden wir nun das von Ihnen componirte Vater unser aufführen.
Werden Sie im Laufe des Sommers, der so schön zu werden verspricht, Heidelberg auf Ihrer Ferienreise nicht wieder berühren? Es würde mich unendlich glücklich machen, könnte ich Ihnen und Ihrer hochgeschätzen Gemahlin in hiesiger, wahrhaft paradisischer Gegend zum Führer dienen.
Indem ich nochmals meine Bitte um freundliche Nachricht und Verzeihung ausspreche, empfehle ich mich Ihrer fernern gütigen Gewogenheit.
Mit vollkommenster Hochachtung und Verehrung

Ew. Hochwohlgeboren
ganz ergebenster
HMSchletterer

Heidelberg, am 13 Juni 1855.

Autor(en): Schletterer, Hans Michael
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte: Heidelberg
Erwähnte Institutionen: Universität <Heidelberg>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855061340

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Schletterer, 11.06.1855.

[1] Vgl. [Heidelberg], in: Signale für die musikalische Welt 14 (1856), S. 51.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.11.2017).