Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Herrn
Herrn L. Spohr, Hofkapellmeister
in
Kassel.

frei.


Bern d. 1ten Juni 1855.

Hochverehrter Herr!

Der Verein welcher vor beinahe einem Jahr, während Ihrer Anwesenheit in Bern, Ihr Oratorium „Die letzten Dinge“ aufgeführt1 und keine Rückschritte seither gemacht hat, beabsichtigt dißmal und zwar gegen Ende Juli, Ihr Oratorium „Des Heilandes letzte Stunden“ aufzuführen, nebst Beethovens neunter Sinfonie. Das hiesige Publikum intereßirt sich lebhaft für dieses Projekt, und unser Vereinspräsident, Herr Theodor von Hallwyl, ein Mann aus einer der ersten Patrizier-Familien und großer Musikfreund, sucht auf Lektion einen Fond zu gründen, der uns in den Stand setzen soll, zu diesem Zweck fremde Künstler berufen, um das Orchester mit circa 50-60 solcher besetzen zu können.2
Welche Freude würde es nicht dem für Sie, Hochverehrtester Herr! begeisterten Verein und allen hiesigen Musikfreunden gewähren, wenn Sie, der Schöpfer dieses Oratoriums, während der Zeit der Aufführungen derselben, in unserer Mitte weilen und uns diese Tage zu wahren Festtagen stempeln wollten!!
Ich will es Ihnen nicht verhelen, daß wir alle in der Hoffnung leben Sie hier zu sehen.
An diese Hoffnung muß ich aber auch schon eine Bitte knüpfen. Es fehlt nämlich die Partitur zur zweiten Abtheilung Ihres Oratorium, und ist dieselbe in der Bibliothek der schweizerischen Musikgesellschaft, aus welcher ich das Werk erhoben habe, durchaus nicht mehr aufzufinden. - Da die erste Abtheilung bereits einstudirt ist und ich keine Zeit mit dem Uebrigen verlieren darf, da mir dieselbe nur noch kurz gemeßen ist, so erlaube ich mir Sie höflichst zu bitten, mir die fehlende Partitur gütigst leihen und mit umgehender Post übersenden zu wollen. Sollten Sie die Partitur nicht grade zur Hand haben, so könnte ich mich vorläufig auch mit einem Clavierauszug behelfen, um den ich Sie aber wiederum ansprechen müßte, weil ich in den hiesigen Musikalienhandlungen keinen vorgefunden habe.
Dießmal werden wahrscheinlich die Konzerte in der ausgezeichnet akustischen, Katholischen Kirche abgehalten und dawir nun in dieser uns so plaziren würden, daß wir die Orgel benuzen könnten, so erlaube ich mir die Frage, ob es nicht erschüternden Effekt machen dürfte, wenn zum Beispiel in den Fugen und am Schluß der ersten Abtheilung mit der Schlußnote des Chors „T. fort“ beym Orgelpunkt auch die Orgel einsetzen würde?
Insofern Sie diesem Gedanken Ihren Beifall zollen, würden Sie mir dann erlauben in obigem Sinn die Orgel dazu zu setzen, oder würden Sie nicht3 so gütig seyn dieses selbst zu thun?
Sie erinnern sich vielleicht noch des jungen Herrn, des Sohns des sardinischen Gesandten, der voriges Jahr mit mir, und Ihnen nachgerückt ist um Sie persönlich kennen zu lernen4, er bittet mich Ihnen seine höflichsten Komplimente zu melden.
Indem ich Sie bitte mich Ihrer geehrten Gemahlin und deren Schwester bestens empfehlen zu wollen, wie ich mich selbst Ihnen theu, verbleibe mit inniger Hochachtung

Ihr
ganz ergebener
J. Edele ./..5
Direktor des Vereins für alt-
klassische Musik.

Vor 14 Tagen war ein vortrefflicher Violinspieler6 aus Genf hier der in einem meiner Vereinskonzerte Ihr erstes Violinkonzert sehr schön gespielt hat. Natürlich wurde alles mit Orchesterbegleitung [mit Ausnahme der Chaconne]7 aufgeführt. Ich erlaube mir, Ihnen ein Programm beyzulegen.

Autor(en): Edele, Julius
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Eichberg, Julius
Hallwyl, Theodor von
Jocteau (Sohn von Alexandre Jocteau)
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte: Bern
Erwähnte Institutionen: Verein für altklassische Musik <Bern>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855060144

Spohr



Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheinträge 06.01.1854; Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 364f.

[2] Vgl. Th[eodor] von Hallwyl, „An die Musikfreunde Berns“, in: Intelligenzblatt für die Stadt Bern 22 (1855), S. 1454f.

[3] Hier gestrichen: „selbst“.

[4] Edele und der Sohn des Gesandten Alexandre Jocteau reisten Spohr nach Thun nach (vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 09.07.1854).

[5] Bei dem Zeichen „./..“ handelt es sich um einen freimaurerischen Zusatz zur Unterschrift (vgl. Philippe A. Autexier, Lyra Latomorum. Das erste Freimaurerliederbuch. Masonica über Haydn Mozart Spohr Liszt, pdf-Version nach dem Typoskript im Deutschen Freimaurermuseum Bayreuth, S. 339f. und 348).

[6] Julius Eichberg (vgl. „Musikalischer Bericht“, in: Intelligenzblatt für die Stadt Bern 22 (1855), S. 1140f.).

[7] Ausdruck in Klammern unter der Nachschrift eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Karl Traugott Goldbach (19.02.2020).