Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Hochwohlteborner Hochzuverehrender Herr
Kapellmeister!
Nehme ich mir die Freiheit Euer Hochwohlgeboren meinen schmerzhaften Verlust, den Tod meines innigst geliebten Mannes anzuzeigen. Er verschied im Blutbrechen am 10ten März, nachdem nur ein leichtes Unwohlsein Ihn vierzehn Tage vorher zu Hause gehalten. Bis zu dieser Zeit lebte u wirkte er restlos in seinem Berufe als Dirigent u Lehrer, scheute keine Beschwerden des harten Winters, und war mit wieder einstudiren seines liebsten Tonstücks „der Gesangs Scene“ beschäftigt, im selbe wiederholt dem hiesigen Publikum vorzutragen. Doch der Himmel hatte es anders beschlossen! Er rief Ihn zu sich von meiner Seite, und 4 Kinder beweinen mit mir sein frühes Ende, da wir den liebevollsten, bravsten und sorgenden Gatten u Vater in Ihm verloren. Der Himmel möge bald Linderung für unsern Gram senden. –
Die Freundlichkeit mit dem wir das Glück hatten von Ihnen Hochgeehrtester Herr Kapellmeister u Frau Gemahlin, bei Ihnrem kurzen Hiersein uns beehrt zu sehen1, gibt mir den Muth, mich mit einer Bitte an Euer Hochwohlg. zu wenden. Mein Mann war im Besitz zwei sehr guten Geigen, von denen er die eine, meine kleine Amati nannte, und war selber von Euer Hochwohlg. zum Ankauf empfolen. Sie war meinem Mann ein köstliches Kleinod, die er mit der größten Liebe hegte u behandelte. Ja ich kann sagen, daß er seinen Schwanengesang darauf aushauchte, denn unmittelbar nach dem Er sie aus seinen Händen gab, legte er sich, und erstand nicht wieder! – Seitdem erfordern es die Verhältnisse, das ich auch hiervon mich trennen muß, zumal da unser einziger Sohn die Begeisterung seines Vaters für dieses Instrument nicht theilt. Nun geht meine freundliche Bitte dahin, daß Sie Hochgeehrtester Herr Kapellmeister mich mit Ihrem Rathe unterstützten, und Ihre Beurtheilung mir gütigst zukommen ließen, welches mir beim Verkaufe des Instrumentes von unschätzbarem Wehrte2 sein würde. Gern würde sich meine Tochter, 20 Jahre alt, die Freiheit nehmen die Geigen Ihnen vorzuführen, und auch über ihre eigene Stimme sich Ihr gütiges Urtheil u Rath zu erbitten. Die Stimme trat erst im letzten Win[ter] hervor, mezzo sopran, mit seltener Kraft; u obgleich noch unreif(???) gebildet sang sie in der Kirche u Conzert, u jeder bestimmte sie zu Sängerinn, nur nicht der Vater. Meine Tochter sucht sich in in unsrer jetzigen Lage ihr Fristens selbst zu sichern, sie beabsichtigt nach Frankreich, und würde es uns lieb sein, wenn sie auch im Bereiche der Musik wirken könnte.3 Sollten E. Hochwohlg. die große Güte und Gewogenheit haben mir Ihren Rath zukommen laßen, würde ich von Herzen dankbar sein.
Mit der größten Bitte um gütige Entschuldigung meines Anliegens, und mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin bestens empfehlend
zeichne ich
Hochachtungsvoll u Ergebenst
Fanny Biermann
geb. Neukirch
Paderborn d 6ten May
1855
Autor(en): | Biermann, Fanny |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Biermann, Bernhardine Biermann, Franz |
Erwähnte Kompositionen: | Spohr, Louis : Konzert in Form einer Gesangszene, Vl Orch, op. 47 |
Erwähnte Orte: | Paderborn |
Erwähnte Institutionen: | |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855050643 |
[1] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 24.07.1852.
[2] Sic!
[3] Vgl. Bernhardine Biermann an Spohr, 15.06.1855.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.03.2023).