Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Innsbruck am 21. April 1855.
Euer Wohlgeboren!
Hochverehrter Herr Meister!
Ich erlaube mir, als Dirigent der Oper Jessonda, im Namen des gesammten Dilettantenvereins1, welcher selbe zur Aufführung brachte, für das schmeichelhafte Schreiben v. 4. d. M.2 den wärmsten Dank auszusprechen. Dieses Schreiben wurde allseitig mit wahrem Enthusiasmus aufgenommen, und veranlaßte ein noch regeres Aneinanderschliessen des Vereines und fleißigeres Studium des herrlichen Meisterwerkes; insbesondere war es der Schluss des Krieges(???)3, welcher allgemein Sensation erregte, und mit dem tüchtigsten Freude und glücklichsten Hoffnung alle erfüllt. Sollte es Ihnen, hochgeehrter Meister, anders möglich werden, unsere liebe Heimath besuchen zu können, seien Sie in Vorhinein herzlichst willkommen! Welcher Jubel, Sie in unserer Bergnatur(???) zu empfangen und zu besitzen! Welchen Eindruck wird die Gegenwart des Meister auf so viele für Ihn begeisterte ausüben!
Jedoch zu den Fall eines Besuches würde ich den hochverehrten Meister ersuchen, die Zeit derselben etwas früher mitzutheilen, da wir die Oper Jessonda nicht zu eigen besitzen, sondern selbe blos aus Gefälligkeit von der königl. bair. Hoftheaterintendanz auf bestimmte Zeit zur Benützung erhalten haben.
Ich war gewillt, die Kopirung der Partitur vorzuschalgen, allein der ausgesetzte Termin läuft bald ab u an eine Verlängerung ist kaum zu denken.
Ich scheide sehr hart von der Partitur welche mir so viel Vergnügen machte und werde mir für den Fall der angehofften4 Besuches auf irgend eine Weise zu behelfen wissen. – Ich erlaube mir einige Anfragen zu stellen, um deren gefällige Erwiderung ich zu bitten wagen, so sei mir für die weiteren Ausführungen der Oper von großer Wichtigkeit ist.
Das Tempo in „Reiche, herrliche Natur (Finale I. Akt) Dürfte nicht nach der im Klavierauszuge ausgesetzten Metronomisirung zu nehmen sein, sondern bedeutend langsamer nach Maßgabe des Textes u der Komposition!?5
Im Finale des II. Aktes bei „Herr gebiethest Du!“ ist das Tempo Allo molto (Münchnerpartitur ohne Metronom) oder Allo maestro (Klavierauszug)?6
Was die Aufnahme der Oper beim Innsbruckerpublikum sowohl als bei den aus allen Theilen des Landes herbeigekommenen Fremden betrifft, erlaube ich mir zu berichten, daß es insbesondere die Chöre sind, welche die schlagendste Wirkung thaten u darunter ganz vorzüglich No 26 mit seinem unübertrefflichen „Gott Ixora – u Schlangenumwundener“7 – Nicht minder wurden auch die Soli mit rauschendem Beifall aufgenommen –
Um dem hohen Meister nicht weiter lästig zu fallen, schließe ich mir der Bitte, diese Zeilen lediglich als den schwachen Ausdruck meiner unbegränzten Verehrung zu nehmen zeichne ich mich als
Ew Wohlgebohrenen
ergebensten Diener
Dr. Josef Leiter
Autor(en): | Leiter, Josef |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | |
Erwähnte Kompositionen: | Spohr, Louis : Jessonda |
Erwähnte Orte: | Innsbruck |
Erwähnte Institutionen: | Cäcilienverein <Innsbruck> Hoftheater <München> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855042146 |
Spohrs Antwortbrief vom 29.04.1855 ist derzeit verschollen.
[1] Der spätere Cäcilienverein (vgl. Emanuel von Altmann an Spohr, 18.09.1856).
[2] Spohr an Altmann, 04.04.1855.
[3] Wohl die Chorszene im Finale des 3. Akts mit kriegerischer Auseinandersetzung zwischen Indern und Portugiesen (vgl. Louis Spohr, Jessonda. Oper in drei Akten, hrsg. v. Gustav Kogel, Leipzig [1881], S. 262-268).
[4] „Anhoffen, act. an die Dauer ausdrückend, wie in anwarten, hoffen. Zukünftige Dinge, welche noch nicht wirklich existiren, sondern nur angehofft werden“ (Christian Friedrich Ludwig Wurm, Wörterbuch der deutschen Sprache von der Druckerfindung bis zum heutigen Tage, Bd. 1, Freiburg im Breisgau 1858, S. 335).
[5] Vgl. Spohr, Jessonda, S. 84ff.
[6] Vgl. ebd., S. 195-198.
[7] Vgl. ebd., S. 233-236.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.11.2022).