Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Scortleben bei Weissenfels
den 4. April 1855.
 
Hochwolgeborner Herr General-Musikdirector!
 
Da der 5. April seit Jahren schon für mich so wie für Ihre zahlreichen Verehrer hiesiger Gegend ein festlicher Freudentag geworden ist, den wir durch Aufführungen Ihrer classischen Werke auch verherrlichen; so werden Sie gewiß auch diesmal mich entschuldigen, daß ich es wage Ihnen Hochgefeierter Herr, zu Ihrem 71jährigen Geburtstag Glück zu wünschen, und meinen Gefühlen hoher Verehrung und Dankbarkeit einen Ausdruck zu geben. Möge Gottes Güte und Treue noch lange über Ihr theures Leben walten, und jeden neuen Morgen Sie mit Kraft und Gesundheit umgürten und vor allem Uebel behüten. Diese heiligen Wünsche aus der Tiefe meines Herzen lege ich als ein Gebet vor dem Thron des Höchsten nieder, und er wird sie gewiß erhören, da sein Wort für die Brüder zu beten uns Erhörung verheißt.
Mit diesem Wunsche für Ihr ferneres Wohlergehen spreche ich zugleich auch meinen herzlichsten Dank aus für Ihren lieben Brief vom 23. April v.J., in welchem Sie mir so überaus freundlich über die schöne Feier Ihres 70. Geburtstages schrieben. Ja, ich kann mir recht wohl denken, daß es eine wahre Wallfahrt von Gratulierenden nach Ihrer Wohnung war, denn es galt dem Jubeltage eines hochverdienten edlen Mannes, dem größten Meister unserer Tage, dem Fürsten der Tonkunst. Die große Zahl von den Bewohnern Cassels, welche am Vorabend Ihres Ehrentages sich zu tausenden in Ihrem schönen Garten drängten, eben dabei leider auch Blumenbeete & Rabatten zertraten, sind wahrlich ein schöner Beweis ihren berühmten Mitbürger durch ihre Gegenwart das schöne Wort zu bewahrheiten: Suum cuique1. Ach, daß ich doch auch so glücklich gewesen wäre Zeuge eines Festtages zu sein, wo Alles sich bemühte Wunsch und Dank einem Manne zu bringen, auf den die Worte des 24 Psalm, welche der seelige Friedrich Schneider auch in Tonreiche gesetzt, eine so treffliche Anwendung finden! Als eine glückende Nachfeier Ihres Geburtstages ist in Wahrheit die Aufführung Ihrer großen und genialen Oper „Faust“ nach der neuen so glücklich gelungenen Bearbeitung und des erst componirten Septetts für Pianoforte. So bald dies Septett in Leipzig zu haben sein wird, werde ich es selbst in Weissenfels u. Halle zur Aufführung bringen, und das Pianoforte selbst übernehmen. Die Aufführungen Ihrer Compositionen gewinnen zu meiner großen Freude in hiesiger Gegend immer mehr an Ausdehnung. So kann ich Ihnen unter andern mittheilen, daß die Jessonda in Halle bei sehr gefülltem Hause vor einem ausgewählten Publikum mit großem Applaus in einigen Wochen vorigen winters 4 mal zur Aufführung gebracht wurde. Ich selbst habe 2 Aufführungen beigewohnt, die ich für ziemlich gelungen erklären muß bis auf einige vergriffene Tempos des Herrn Dupont. Mein Freund der Organist u Musikdirector Thieme in Halle, ein sehr guter Dirigent, welcher am 17. Juni v.J. „das Weltgericht“ von Schneider mit einem Orchester von 10 ersten Geigen, 8 zweiten, 7 Bratschen, 7 Violoncelles u. 5 Contrabässe nebst vollständig besetzter Blasmusik und mit über 700 Sängern aufführte2, und einen Reinertrag von 305 Thlr nach Abzug der bedeutenden Kosten an das Comitée zur Unterstützung der Schneiderschen Familie nach Dessau absandte, beabsichtigt in diesem Sommer Ihr Oratorium „der Fall Babylons“ zur Aufführung zu bringen. Da nun der Ankauf dieses Oratoriums für den H. Thieme eine zu bedeutende Ausgabe ist, wovon der Plan gleich scheitert, so hat derselbe mich gebeten, da ich offen gestanden dem H. Thieme zur Aufführung des genannten Oratoriums den ersten Juny als gegeben habe, bei Ihnen, Herr Doctor, ergebenst anzufragen: Ob Sie wol geneigt wären demselben zu den Proben u. der Aufführung die Partitur nebst Chor- u. Orchesterstimmen auf 2 Monate zu borgen.3 Der H. Thieme ist ein sehr braver u. ehrenwerther Mann, u. der seelige Schneider in Dessau hat ihm stets seine Noten zur Aufführung seiner Compositionen gegeben. Derselbe verspricht für das gute Halten der Noten einzustehen. Sie sind wol so gütig, hochgeehrter Herr, mir Ihre Ansicht im Betreffe meiner Anfrage mitzutheilen.
Ich habe mich sehr gefreut aus Ihrem Briefe, Herr General-Musikdirector, zu ersehen, daß Sie so gütig sein wollen für den Altargesang des Vater-unser und die Abendmahls-Worte mit Begleitung der Orgel in Musik zu setzen; ich sage Ihnen deshalb schon im Voraus meinen herzinnigen Dank, denn es ist schon seit Jahren ein Lieblingsgedanke von mir gewesen4 aus Ihrer geweihten Feder für die evangelische Kirche u. somit für ihre Geistlichen, eine solche Composition zu besitzen. Für die Einführung dieses Gesanges in unserer Provinz werde ich dann schon sorgen.
Mit der größten Hochachtung und innigen Liebe unterzeichnet für
 
Ew. Hochwohlgeboren
ganz ergebener
Heinrich Weber Pfarrer.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Weber, 23.04.1854. Spohrs Antwortbrief vom 08.04.1855 ist derzeit verschollen.
 
[1] Jedem das Seine.
 
[2] Ein zeitgenössischer Bericht spricht nur von 400 Ausführenden (vgl. „Halle“, in: Neue Berliner Musikzeitung 8 (1854), S. 214).
 
[3] Beim 5. Gesangsfest des Sängerbunds an der Saale erklang stattdessen Die Glocke nach Schiller von Otto Carl Claudius („Halle, den 10. Juni“, in: Neue Berliner Musikzeitung 9 (1855), S. 212f.).
 
[4] „gewesen“ über der Zeile eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.09.2017).