Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochwohlgeborner Herr,
Hochverehrtester Herr General-Director,

Nehmen Sie es nicht ungütig, theurer deutscher Mann, daß ich Ihre Ihnen so sparsam zugemessene Zeit durch dieses mein Schreiben auf einige Augenblicke in Anspruch nehme.
Es hat mich unbeschreiblich überrascht zu sehen, daß Sie, theurer Mann, in Ihren vorgerückten Jahren noch so frisch u jünglingsmuthig sind! O, daß ist eine Gnade des Allgütigen für Sie u eine herrliche Freude für Alle, welche unseren großen Spohr lieben u die Ihm gebührendenn Huldigungen Ihm1 erweisen!
Mir wurde bisher noch nie das schöne Glück zu Theil, Sie von Angesicht kennen zu lernen, indem ich früh mein liebes deutsches Vaterland verließ u so viele Jahre in der Fremde lebte; aber ich erkannte Sie gestern auf den erssten Blick, weil ich Ihr liebes wohlgetroffenes Bildniß, einen herrlichen Kupferstich, besitze, das ich auf allen meinen Reisen nebst den Bildnißen anderer großer edler deutscher Männer auf allen meinen Reisen in Rußland mit mir führte.
Nie versäumte ich in diesem Lande die Aufführung irgend eines Stückes, in welcher ein Werk von unserem großen Spohr vorkam, u ein Violin-Concert, das ein gewisser Syring(?) gab, welches ich besuchte, weil er einen Solo von Ihnen darin vortrug, ist u bleibt für mich merkwürdig, so lange ich leben werde. So oft ich an dieses Concert denke, dessen Folgen mir einen interessanten Stoff zu einem Roman lieferten, der auch bereits zum Abdrucke fertig liegt, denke ich auch an Sie, weil eben jene Soloparthie mich veranlaßte es zu besuchen.
Theurer Mann, es fehlte mir gestern an Zeit u auch an passender Gelegenheit, als ich Sie die paar Augenblicke am Bahnhofe sah, Sie zu fragen, ob das Sonett sich wohl zur Composition eignen u wenn das mit „ja“ zu beantworten sei, ob Sie mir wohl die Ehre erweisen würden, es, wenn auch bloß mit dem, was von Ihnen tonkünstlerischen Genie übersprudelt, zu verschönen?2
Es haben einige gute Meister, unter denen auch mein liebster bester Freund, Herr Lindpaintner, dessen Compositionen ich auch hochachte, verschiedene meiner Gedichte in Musik gesetzt3 u die bessern davon bin ich gesonnen, einer mir sehr werthen Person zu widmen, u wäre dann das Sonett, von unserem großen Spohr darunter, so legte ich gewiß Ehre damit ein, u ich würde für die Ehre u Güte, die Sie mir dadurch erweisen, gewiß so anerkenntlich sein, als ich es im Stande wäre.
Die liebe, gute Frau Prinzessin von Preußen4 hat sich, besonders in Koblenz, durch ihre Huld, Güte u Milthätigkeit gegen die Armen und Kranken, die sie fast täglich besucht, die allgemeine Liebe u den reichsten Dank erworben,
das Sonett hat bisher noch Niemand gesehen u wenn ich die Ehre u das Glück hätte, daß Sie es componirten, würde es auch Niemandem bis zur Herausgabe zu Gesichte kommen. Sollten Sie das Aber, beim besten Willen – nicht im Stande sein – so lassen Sie mir dieses, wenn auch nur durch eine einzige Zeile u ganz auf meine Unkosten gefälligst sagen.
Schließlich aber muß ich Sie, theurer Mann, tausendmal um Entschuldigung bitten, wenn ich Sie durch diese meine Freiheit unangenehm berührte. Es ist dies aber nur eine Folge meiner Bewunderung Ihres großen Genius u meiner herzlichen Liebe u Verehrung gegen Sie! Gott segne u. behüte Sie u Ihre vortreffliche Frau Gemahlin, die liebe, schöne Seele, ewig!
Genehmigen Sie es, mich, in
reinster Hochachtung verharrend,
nennen zu dürfen

Ihren Sie herzlich liebenden
u innigst verehrenden, gehorsamen
Diener,
Joh. Philipp Simon.

Hannover den
2ten April 1855
Augustenstraße No 13
bei Herrn Fesche
Im Mai d. Js.
zu Koblenz
bei Herrn Lorenz
Pörtzgen, Kornpforte
No 28.

Autor(en): Simon, Johann Philipp
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Auguste, Deutschland, Kaiserin
Syring(?) (Violinist)
Erwähnte Kompositionen: Lindpaitner, Peter von : Lieder
Erwähnte Orte: Hannover
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855040249

Spohr



Spohrs Antwortbrief vom 09.04.1855 ist derzeit verschollen.

[1] „Ihm“ über der Zeile eingefügt.

[2] Vgl. „Zuletzt noch von einem Prof. Siemon attaquirt, der lange in Rußland gewesen, und Spohr viel Schmeichelhaftes zu sagen hatte“ (Marianne Spohr Tagebucheintrag, 01.04.1855).

[3] Z.B. Ich gehe oft zu ihr. Eine Romanze von Joh. Philip Simon. In Musik gesetzt für eine Singstimme mit Pianofortebegleitung von Peter v. Lindpaitntner, Königl. Hofkapellmeister in Stuttgart, o.O. o.J.

[4] Die spätere Kaiserin Augusta, die zu dieser Zeit in Koblenz resdierte.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.12.2019).