Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Scholz,B.:1
Inhaltsangabe: Bernhard Scholz, Verklungene Weisen. Erinnerungen, Mainz [1911], S. 87f.

Joseph Scholz
in
Mainz1 29 März 18552

Hochgeehrter Herr!

Verzeihen Sie, wenn ich, ein Ihnen gänzlich Unbekannter mir erlaube, Sie mit einer Bitte zu behelligen.
Ich übersende Ihnen nämlich anbei eine kleine Auswahl Lieder von mir, einem jungen Dillettanten im alten Mainz; diese Lieder sind in einer Zeit lebhafter Erregtheit entstanden, und da meine ganze Subjectivität zu sehr damit verwebt war, so habe ich natürlich alles Urtheil und jeden Maßstab für deren objectiven, rein musicalischen Werth verloren; ich schrieb eben, einem inneren Herzensdrang folgend, indem ich mich allerdings bemühte meinen Gedanken eine möglichst künstlerische Form, so gut es eben meinem leider nur allzu lückenhafte musicalische Ausbildung gestattete, zu geben. Ich stehe hier allein mit meinen Bestrebungen, oft gedruckt durch den Mangel an Uebereinstimmung mit meiner Denkungsart in meiner Umgebung, –- in eine Laufbahn geworfen, der ich mich oft mit Widerwillen bequeme, – so zu sagen abgeschnitten von jedweder Nahrung, jedem Austausch, jeder Anregung für die Kunst, für die ich begeistert bin. Drum, verehrter Mann, wage ich es, mich an Sie zu wenden mit der Bitte, die Erstlingsversuche, die ich heute in Ihre Hände gebe, in einer Musestunde freundlichst durchsehen zu wollen, und mir dann durch wenige Zeilen ein freies, offenes – (o ich bitte Sie darum – unverhohlenes Urtheil3 mitzutheilen. Finden Sie einiges Gute, so wird mir Ihr Lob Sporn und Stachel zu weiterer Ausbildung sein; finden Sie, daß es besser ist, diese Lieder in die Vergessenheit zu geben, nun – so werden Sie durch dieses Urtheil einen jungen Mann von einer Eitelkeit, die ihm gefährlich werden könnte, geheilt haben.
Ich bitte Sie, hochgeehrter Herr, vielmals um Entschuldigung für meine Unbescheidenheit, und zeichne mit größter Hochachtung

B. Scholz

adr. Herrn Jos. Scholz
Mainz.

Autor(en): Scholz, Bernhard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen:
Erwähnte Kompositionen: Scholz, Bernhard : Lieder, Sgst Kl, WoO
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855032946

Spohr



Spohr beantwortete diesen Brief am 14.04.1855.

[1] Bis hierhin Vordruck auf dem Briefpapier. – Joseph Scholz war der Großvater von Bernhard Scholz und der Gründer des Familienunternehmens, das Scholz’ Vater Christian weiterführte (vgl. Bernhard Scholz, Verklungene Weisen. Erinnerungen, Mainz [1911], S. 10f.).

[2] „185“ Vordruck auf dem Briefpapier.

[3] Hier gestrichen: „dazu“

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.04.2021).