Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Gotha, den 9 März 1855.

Geehrtester Herr
General-Musik-Direktor!

Mein Schwiegervater, der Kammermusicus Julius Carl Preysing hier welcher vor ungefähr acht Tagen von seinem bei sich lebenden Sohn auf keine kindliche Weise behandelt worden ist, in Folge dessen er letzteren verlassen hat, und seine Zuflucht bei seiner Tochter, meiner lieben Frau, gesucht, woselbst er solche auch gefunden hat, indem ich seit November v. J. hier in Gotha meinen Wohnsitz habe. Derselbe befindet sich aber gegenwärtig in einem Alter von 91. Jahren in solchen Umständen, daß sich ein Wurm in der Erde über ihn erbarmen möchte; er ist krank, leidet am schweren Athem, hat einen Schaden, was ihm aber am schlimmsten berührt, er hat nicht sattsam zu leben und sollte nicht bald Hülfe kommen, so muß er dem Hungerstod entgegen gehen. Seit Jahr und Tag schläft er in keinem Bette, erst seit acht Tagen wo er bei mir wohnt, denn ein solches habe ich noch nie bei ihm gesehen, seine Kleidung und Wäsche sind so beschaffen, daß er sich nicht sehen lassen kann und Linderung von seiner zu beziehenden Pension zu schaffen, steht in weiter Ferne, da dieselbe so mit Verbot(???) belegt ist, daß er kaum vierteljährig, wie es am 1 Januar d. J. war, zehn Thaler herausbekommt, und hiervon ein Vierteljahr lang alle Ausgaben zu bestreiten, ist rein unmöglich. Daß ich in obiger Beziehung wenig thun kann, bedarf wohl keiner weitern Erwähnung, da Ihnen meine Umstände hinlänglich bekannt sind und von Ihnen schon öfters selbst Unterstützung bekommen habe und wozu noch jetzt hinzukommt, daß ich wegen fortdauernder Taubheit zur Disposition gestellt bin; übrigens geschieht doch von unserer Seite so viel wie in unseren Kräften steht.
Mein Schwiegervater hat mich nun ersucht in seinem Auftrag, wie seine Unterschrift darthut, Ihnen sein trauriges Daheim in kurzem vorzustellen und Sie, fest überzeugt von Ihre ihm bekannten Menschenfreundlichkeit, freundschaftlich zu bitten, ihm eine Unterstützung zur Linderung seiner in Wahrheit berührenden(???) Noth, gütigst, abkommen zu lassen.
Uebrigens bemerke ich noch schließlich, daß ich Vorkehrungen getroffen habe, die unter allen Umständen durchgreifen müssen um die Lage meines Schwiegervaters nächstens in einen bessern umzugestalten.
Hochachtungsvoll

gehorsamer
Louis Wohlgemuth
Amtsschreiber, wohnhaft beim Nadler Bätz in der Naungasse

Jul. Karl Preysing.

Autor(en): Wohlgemuth, Louis
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Preysing (Sohn)
Preysing, Carl
Wohlgemuth, Auguste
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Gotha
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855030930

Spohr



Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.05.2022).