Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Schletterer,H.M.:05

Hochwohlgeborener,
Hochgeehrtester Herr Hofkapellmeister!

Seit ich Ihr verehrtes Schreiben vom 15 Oct. v. J. - für das ich Ew. Wohlgeboren hiemit verbindlichsten Dank sage – erhalten habe, schwanke ich in meinen Entschlüssen hin und her, und bis zu einem rechten Ziel mit mir selbst eigentlich noch nicht gekommen. Ich wünsche zwar sehr eine sichere und gute Anstellung zu erhalten1, aber ich möchte Herrn Dupont nicht gerade noch Hindernisse bereiten, noch wollte ich von hier weg gehen, ohne zuvor(???) alle Hebel in Bewegung gesetzt zu haben, die meinen Zwecken förderlich sein konnten und alles versucht zu haben, was eine Zebung der hiesigen musikalischen Verhältnisse ermöglichen dürfte. Im Vertrauen auf die gewaltigen und mächtigen Wirkungen der Zukunft und von der Überzeugung geleitet, daß das wahrhaft Gute immer durchdringen und den Ding behalten muß, habe ich es denn unternommen einen Chor und ein Orchester zu bilden und meine Bemühungen sind bis jetzt mit dem besten und günstigsten Erfolge belohnt worden, so zwar, daß der Chor augenblicklich circa hundert, das Orchester vierzig Theilnehmer zählte, die weitere, schwierigere Aufgabe wird nun allerdings darin bestehen, das Gewonnene zusammen zu halten und das einmal gefasste Interesse nie erkalten zu lassen. Einige Concerte, die ich bereits gegeben habe, fanden allgemeine und große Theilnahme, und dies beweist mir, daß man für gute Aufführungen durchaus nicht so unempfänglich ist, wie ich es nach früheren Schilderungen vom Heidelberger Publikum fürchten mußte.2
Obwohl nun auf diese Art sich meine Wirksamkeit bedeutend vergrößert hat, so sind doch meine Einnahmen bis jetzt die früheren geblieben. Dennoch will ich es noch eine Zeit lang versuchen, ob es damit sich nichts noch bessert; geschieht dies nicht, so bin ich allerdings gezwungen um meiner Existenz willen eine andere Stelle zu suchen, und ich bitte Sie, geehrtester Herr, meiner zu gedenken, im Falle zu Ihrer Kenntnis eine für mich passende Anstellung gelangen sollte.
Vor Ostern möchte ich in einem großen Concerte noch Ihr herrliches Oratorium: die letzten Dinge zur Aufführung bringen, Die Chorstimmen habe ich bereits kommen lassen und mit dem Einstudiren begonnen. Sie hatten bei meiner letzten Anwesenheit in Kassel die Güte mir für den Zweck einer Aufführung Partitur und Orchesterstimmen dieses Werkes leihweise in Aussicht zu stellen und ich wage deshalb hiemit die ergebenste Bitte an Ew. Wohlgeboren, wie für kurze Zeit (das Concert ist vorläufig auf den 6 März festgesetzt) Partitur und Orchesterstimmen gefälligst übermachen zu wollen.
Da ich eben daran bin Ihre Güte in Anspruch zu nehmen, so wage ich es zugleich eine weitere Bitte hier hinzuzufügen. Schon seit Jahren nämlich probe ich darnach Ihre sämmtlichen Werke in meine Musikalien Sammlung zu bekommen; namentlich wünsche ich die Orchester- und Gesangstücke in Partitur zu besitzen. Ich habe schon vieles aus den Stimmen zusammengeschrieben, aber diese Arbeit ist so sehr zeitraubend, daß es mir fast unmöglich ist, sie auf die Dauer fortzusetzen; wenn Sie daher die Güte haben wollten, mir mit dem Oratorium zugleich noch einige Concertouverturen und Sinfonien, zu denen bis jetzt gedruckte Partituren noch nicht erschienen sind, in Partitur zu überschicken, so würden Sie mich zu größtem Danke verpflichten; ich würde sie schleunigst zurückbesorgen. Gelingt es mir hier weiter meine Pläne durchzuführen, so wird jedes Concert ein größeres Orchester- oder Gesangstück von Ihrer Komposition bringen, und es wird mein eifrigstes Bestreben sein, Ihren herrlichen Tonschöpfungen ercht viele treue Freunde und wamre Verehrer, zu denen ich mich in erste Reihe zähle, zu erwerben.
Mit unendlichem Bedauern habe ich aus Ihrem geehrten Schreiben erfahren, daß Sie Heidelberg auf Ihrer vorjährigen Reise doch berührt haben, und ich dessenungeachtet nicht das Glück haben konnte, Sie zu sehen. Durch mein langes Kranksein war ich leider hier ganz verschollen und eigentlich gar nicht bekannt geworden und ich wäre doch damals wohl noch nicht im Stande gewesen Ihnen zum Führer zu dienen, aber es wäre mir doch wohl möglich geworden, Sie und Ihre verehrte Gemahlin auf den kürzesten und angenehmsten Wegen zu den schönsten Punkten geleiten zu lassen. Ich hoffe und wünsche nichts sehnlicher, als daß Sie Ihr Weg recht bald wieder durch Heidelberg führen möge, damit ich das Versäumte nachholen kann.
Mich Ihrem ferneren freundlichen Wohlwollen empfehlend und in Erwartung einer gütigen Antwort zeichne ich mit vollkommenster Hochachtung und Verehrung

Ew. Wohlgeboren
ganz ergebenster
H.M.Schletterer

Heidelberg, 4 Februar
1855.

Autor(en): Schletterer, Hans Michael
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Dupont, Johannes Franz
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte: Heidelberg
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Rudolstadt>
Universität <Heidelberg>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1855020440

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Schletterer, 15.10.1854. Spohrs beantwortete diesen Brief am 07.02.1855.

[1] Betrifft Schletterers geplante Bewerbung als Hofkapellmeister in Rudolstadt.

[2] Vgl. [Heidelberg], in: Signale für die musikalische Welt 14 (1856), S. 51.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (21.11.2017).