Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Firnhaber:19

Lieber Herr Kapellmeister!

Der morgende Tag ist ein Feiertag für Alle, die jemals im Gebiete der Tonkunst den Schöpfungen des großen Meisters inne geworden sind u dem Urheber so vieler seligen Empfindungen u edler Gefühle ein dankbares Herz bewahren; u ist es in noch höherem Grade für Alle, die sich Ihrer persönlichen Bekanntschaft erfreuen u das Unbestimmte einer Vorstellung an die bestimmte Persönlichkeit zu knüpfen vermögen. Habe ich auch ein Paar Jahre gegen meine frühere Gewohnheit vorbei gelassen, ohne Ihnen meine Glückwünsche zu Ihrem Geburtstage schriftlich auszudrücken – mein Herz hat daran für Sie stets in großer Fülle gehabt! – so erinnert mich doch der siebenzigste Geburtstag zu lebhaft an alle die Liebe u Freundlichkeit, welche Sie u Ihr Haus mir einst in einer schönen Zeit erwiesen, an den Stolz, einst als ein Begünstigster zu dem Kreise Ihrer näheren Bekannten gehört zu haben, als daß ich mir nicht die Erlaubníß erbitten sollte, von Neuem zu der alten löblichen Gewohnheit zurückkehren zu dürfen.
So bringe ich Ihnen denn zunächst aus überströmendem Herzen die schönsten Glückwünsche zu Ihrem Geburtstage dar. Ja! gewiß ist es ein Ehrentag, nicht hier, weil ein siebenzigster es an u für sich ist, sondern weil Sie mit Stolz u hohem Selbstgefühl auf die lange Reihe von Jahren des regsten u feurigsten Eifers für die wahre Kunst zurückblicken können. Ja! möge der Himmel Sie noch lange Zeit im Genuße dieser ungeschränkten Kraft erhalten, im wohlverdienten Genuße des hohen Ruhms, den Ihnen beide Genussphären spenden, des innigen Dankes Ihrer Verehrer, der in Ihren Augen mehr werth ist, als reiche Ordensbänder, sicherlich aufrichtigere Empfindungen entspringt. Ich versetze mich in Gedanken in den schönen Kreis, der sich um Sie morgen zu sammeln pflegt. Was Ihnen am meisten zusagt von den Segenswünschen der Gratulanten, denken Sie, es sey zugleich von mir gesprochen; dann wird es einigermaßen den Ausdruck meiner Gefühle wiedergenen.
Ich habe mich in diesem Winter recht oft mit Ihnen beschäftigt. Ein musikalisches Kränzchen, das ich leite, hat sich für diesen Winter ganz u gar nur in Ihren Dienst begeben. Pietro von Abano war unsere Aufgabe an deren Lösung wir emsig gearbeitet. Die Schlußaufführung ist zwar durch eingetretene Todesfälle noch aufgeschoben, aber ich denke, ich bringe sie noch zu Stande u auf eine des Meisters nicht unwürdige Weise, wenn’s auch nicht, wie es beabsichtigt war, auf Morgen. Wie oft entzückt uns diese Klarheit der Empfindung, dieße tiefe Auffassung der menschlichen Natur diese Innigkeit der Empfindungen u Gefühle. Da wird man nicht müde, immer neu die „alte Kraft aufzuwecken“ d.h. für mich, den abgesungenen Tenor etwas aufzubatzen(???)1: denn Ihre Weisen liegen in meiner Kehle aus alter Zeit, wie der Ton in der Kehle des Vögleins, das im Frühjahr nun zu singen anfängt u trotz seines Alters die gewohnten Weisen wiederfindet. Ich heiße deßhalb auch der Spohrianer u lasse mich ganz so nennen; u freue mich immer, wenn ich Ihnnen immer neue Verehrer gewinnen, wie im vorigen Jahre, wo ich von der verwittw. Herzogin Pauline den Auftrag erhielt, ihr drei musikalische Abende zu arrangiren u den ersten mit der Arie „u wie vertraut sind meinem Ohr“ aus dem Fall von Babylon eröffnete; oder wie in diesem Winter, wo ich in den durch meine Anregung mit in’s Leben gerufene Quartett-Soireen Ihren reizenden Schöpfungen von allen anderen jederzeit den Beifall gespendet sehe.
Von meinem Leben sage ich Ihnen nichts weiter, als daß ich nach herben Schlägen des Himmels, die mir ein liebes Kind geraubt, jetzt wieder, dem Himmel sei Dank, wohl u heiter bin. Mein Wilhelm wird dieß Jahr bereits konfirmirt. Ja! die Zeit eilt gewaltig dahin! Morgen sind es ja auch schon 17 Jahre, als ich zu früher Morgenstunde mit der Post in Cassels Mauern einfuhr. Hoffentlich erlaubt mir das heurige Jahr einmal wieder nach Cassel zu kommen, oder es führt Sie ein musikalischer Feldzug in meine Nähe. So großes Interesse ich auch dem Feldzug in der Türkey2, natürlich als Türkenfreund, schenke; das Interesse würde noch größer seyn, welches ich einem solchen musikalischen Feldzuge widmen würde, der Sie in meiner Nähe führte. Wie mancherlei hätte ich Ihnen zu sagen!
Aber genug! Nur noch das Eine, daß ich Sie bitte, mich den lieben Ihrigen beßtens zu empfehlen u auch von meiner Frau die Glückwünsche für Sie u die herzlichsten Grüße an Ihre liebe Frau entgegenzunehmen; mir aber zu erlauben, mich vor wie nach nennen zu dürfen

Ihren
treuergebenen Verehrer
CGFirnhaber

Wiesbaden den 4ten April 1854.

Die Familie Frege (Verehrer aus Leipzig), die sich diesen Winter hier aufgehalten, wird Ihnen auch geschrieben haben3; sonst würde ich Ihnen auch von jenen viel Schönes zu sagen haben.

Autor(en): Firnhaber, Carl Georg
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Frege, Christian Gottlob
Frege, Livia
Pauline Nassau, Herzogin
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Der Fall Babylons
Spohr, Louis : Pietro von Abano
Erwähnte Orte: Kassel
Wiesbaden
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1854040449

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 21.07.1850. Der nächste fragmentarisch erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Firnhaber, 23.03(?).1855.

[1] „aufbatzen: einen a. aufhetzen, aufsictheln“ (Rheinisches Wörterbuch 1, Sp. 507 [Online-Version]).

[2] Zum Krieg zwischen dem osmanischen Reich und Russland aus zeitgenössischer Sicht vgl. z.B. Georg Klapka, Der Krieg im Orient in den Jahren 1852 und 1854 bis Ende Juni 1855. Eine historisch-kritische Skizze der Feldzüge an der Donau, in Asein und in der Krim […], Genf, Brüssel und Paris 1855.

[3] Vgl. Familie Frege an Spohr, 03.04.1854.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.09.2021).