Franz Joseph Keppner an Louis Spohr in Kassel

Cassel den 4^ten Aprill 1854.

Hochgeehrtetster Herr!

Sowie mir bekannt, ist morgen Ihr 70 jähriges Geburts-Fest. – Ich kann nicht umhin, Ihnen, wenn auch nur kurz, meine Gefühle darüber auszusprechen; Wollen Sie dies Schreiben durch die Sache selbst gütigst für entschuldigt halten! –
In einem Zeit-Raum von 70 Jahren kann Jedermann zwar Vieles erleben und erfahren; wenn ich aber einen kunst-geschichtlichen Blick auf das jüngst-vergangene halbe Jahr-Hundert werfe, in dem Sie, selbst-bewußt, gelebt, und so wesentlich mitgewirkt haben, so muß ich sagen, daß es mein aufrichtiger Wunsch wäre, es möchte Ihnen vergönnt sein, noch recht viele Jahre gesund erleben zu können, dammit Sie aus dieser musikalisch verirrten Zeit, nicht nur durch die große Vergangenheit mit Freuden zurück sehen, sondern auch noch einen hoffenden Blick auf eine bessere musikalische Zukunft werfen können. Abgesehen von dieser Idee und vom rein musikalischen Standpunkte, wer würde dem edlen Menschen-Freunde Spohr nicht Alles Gute von Herzen wünschen? – Gewiß, Jedermann, der Sie kennt, mit mir! –
Unter Wiederhohlung meiner herzlichsten Glückwünsche, ergreife ich diese Gelegenheit, um Ihnen zu sagen, daß ich Sie sehr lieb habe, und Ihnen so aufrichtig treu und ergeben bin, wie ich es seit Jahren war. Als gewandter Diplomat, ergreife deßhalb auch die Gelegenheit nochmals und bitte Sie, mir immer gut zu bleiben. Sollten Sie Manches an mir finden, das Ihnen mißfällt, so wäre es gut, wenn Sie dergleichen meinem Genie auf die Rechnung schreiben würden! –
Mit ausgezeichneter Hochachtung

F. Keppner. –
In spe omnia
in re nihil.¹