Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Hochwohlgeboren
dem Herrn Hofkapellmeister, Ritter
Dr Louis Spohr
in
Cassel.

frei.


Hochzuverehrender Herr Hofkapellmeister!

Herzlich freue ich mich der Gelegenheit Ihnen zu Ihrem diesjährigen Geburtstage zum 5ten d. M., wo Sie das 70ste Lebensjahr bereits zurückgelegt haben, meinen aufrichtigsten und wärmsten Glückwunsch darbringen zu können.
Möge der liebe Himmel Ihnen nun die 70er auch in ruhiger Zufriedenheit und steter Gesundheit erleben lassen, damit Sie der Welt immer noch mehrere Kunstwerke schaffen mögen, wie sie und Haydn, Bach und Händel auch noch in ihrem hohen Alter hinterlassen haben!
Schon im Juli v. J. nahm ich mir die Freiheit an Sie einen Brief nach London zu senden, da ich von Ihrer Anwesenheit so wie von den Aufführungen mehrerer Ihrer herrlichen Compositionen daselbst gelesen1 hatte. Ich hatte damals gerade die vollständige Instrumentierung der englischen Partitur von Händels Messias fertig und bot die Partitur dem Londoner Musikverleger Ewer & Co zum Verlag an, weil ich glaubte, ein englischer Verleger würde am liebsten das Werk in Verlag nehmen. Gleichzeitig bat ich Sie, Hochverehrtester, in meinem Briefe um eine freundliche Empfehlung, da Sie meine frühern Arbeiten doch kannten, und von diesen auf jene leicht einen Schluß machen konnten.
Den wieder zurück erhaltenen Brief, so wie die Copie der geführten Correspondenz erlaube ich mir hier beizulegen2, um vielleicht von Ihnen einen guten Rath erhalten zu können. Mit Vergnügen würde ich Ihnen auch gern das Ganze in Partitur und Klavierauszug und die englische Partitur zur gefälligen Ansicht übersenden, wenn Sie es interessirte und Sie Muße dazu hätten; recht gern möchte ich darüber auch Ihre Meinung erfahren.
Der Musikdirektor Wehner aus Göttingen, dessen Bekanntschaft ich vor einigen Tagen bei Gelegenheit einer Quartett-Unterhaltung beim Conzertmeister Joachim in Hannover machte, hat mir die übrigen Händelschen Oratorien Partituren, die er alle besitzt, nach und nach zur Benutzung versprochen und es war mir dies sehr erfreulich zu erfahren, da ich mir schon viele Mühe gegeben hatte, die englischen Partituren zu bekommen. Den Messias hatte ich vor einigen Jahren durch einen Cellenser Dr Med. Beneke, in London damals beim deutschen Hospitale angestellt, käuflich erhalten.
Wegen Mangel eines guten Oratorien-Textes wünschte ich wenigstens ein um das andere Oratorium von Händel, die fast alle in ihren deutschen Bearbeitungen zu sehr beschnitten sind, getreu dem Original vollständig zu instrumentiren, was mir eine angenehme Arbeit sein würde.
Was mein Orat. Hiob betrifft, worüber Sie die Güte hatten, sich damals so günstig über die Musik auszusprechen3, so bot ich dasselbe bald nach der Aufführung am 1. Nov. 1850 dem Musikdirektor Hauptmann in Leipzig zur Aufführung an; ich theilte ihm Ihr Urtheil nicht nur mit, sondern machte ihn auch auf die nach der hiesigen Aufführung erschienen zwei günstigen Recensionen4 aufmerksam und erbot mich, ihm Alles dazu zu senden. Allein vergebens wartete ich auf eine Antwort und so verstrich ein Jahr nach dem andren und ich habe dasselbe andernorts nicht weiter angeboten. Einen Verleger dazu zu erhalten würde in jetziger Zeit wohl noch schwerer sein.
Unter den Hannoverschen Capellisten, die bei Gelegenheiten großer Oratorien-Aufführungen nach Celle kamen und jedesmal die freundlichste Aufnahme hier fanden, lernte ich auch Ihren ausgezeichneten Schüler Kömpel als einen bescheidenen Künstler und sehr tüchtigen und gewandten Geiger kennen; derselbe ist hier schon mehrfach beliebt, zu mal er an dem jetzigen Ober-Staatsanwalt Lueder, früherem Oberappelations Rath, einen guten Beschützer gefunden hat.
Daß der Sohn5 unsres verstorbenen Freundes Schwenke6 in Hamburg bei mir jetzt seinen Cursus in der Harmonielehre und doppelten Contrapunkt durchzumachen angefangen hat und fleißig seine Arbeiten übersendet, dürfte Sie vielleicht noch interessiren. Fritz Schwenke ist ein bescheidner und netter Mann und als gewandter und fertiger Orgel- und Klavierspieler auch in Hamburg bekannt; derselbe hat auch seines sel. Vaters Stelle als Organist der St. Nicolaikirche damals7 erhalten.
Nun mit dem aufrichtigsten Wunsche, daß es Ihnen immer recht wohl gehen möge und Sie Ihren Geburtstag recht froh und vergnügt im häuslichen Kreise verleben möchten empfehle ich mich Ihnen zu fernerm Wohlwollen und habe die Ehre

mit vollkommenster Hochachtung zu verharren
als
Ihr
treu ergebenster
H.W. Stolze.

Celle,
d. 4ten April 1854.



Dieser Brief folgt in dieser Korrespondenz anscheinend dem in diesem Brief erwähnten, derzeit verschollenen Brief Stolze an Spohr, Juli 1853.

[1] Vermutlich C.A., „Londoner Briefe“, in: Niederrheinische Musik-Zeitung 1 (1853), S. 19-22, hier S. 20ff., die allerdings erst am 16.07.1853 erschienen.

[2] Beides findet sich nicht in der Mappe, in der die Briefe von Stolze an Spohr aufbewahrt werden.

[3] Vgl. den derzeit verschollenen Brief Spohr an Stolze, 22.11.1849.

[4] A., „[Am 1. Novbr. kam in Celle]“, in: Reinische Musik-Zeitung 1 (1850), S. 168; „Celle, im April 1851“, in: Neue Zeitschrift für Musik 34 (1851), S. 200.

[5] Friedrich Gottlieb Schwencke.

[6] Johann Friedrich Schwencke.

[7] „damals“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (23.04.2020).