Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Hochwohlgeboren
Herrn Generalmusikdirector Dr. Spohr
in
Hessen. Cassel

fr.1


Dordrecht 3 Ap. 1854

Hochverehrtester Herr Generalmusikdirector!

Zu Ihrem Geburtstage sende ich Ihnen meine innigsten Glückwünsche! Möchten sich an demselben noch recht viele glückliche reihen und Sie in ungebeugter Kraft glücklich u zufrieden noch viele Jahre fortwirken; aber auch auf den so wohlverdienten und wohlge[???]teten Lorbern den Segen genießen den Ihr thatenreiches Wirken fordern kann!
Endlich hat Fräulein Rosalie2 Wort gehalten und Holland mit Ihrem Besuche erfreut, die eigentliche Concert-Saison war jedoch beinahe vorüber als sie ankan, dennoch hat sie in Amsterdam in Felix Meritis3, in Utrecht4, in dem Haag5 u hier6 gespielt. Sie ist eine sehr liebenswürdige bescheidene u anspruchslose Künstlerin, spielt sehr graziös, bedeutend fertig u sicher und kann mit vollem Recht unter die bedeutendsten Künstler auf der Harfe gezählt werden. Sie wird ihrem Namen Ehre machen! Ich war besonders hocherfreut u glücklich da sie sich7 mit ihrem Vater, Herrn Kammerbaumeister8 einige Tage verweilte und Sie sind oft der Gegenstand unserer Gespräche gewesen. Die letzte Nachricht habe ich von ihnen aus Brüssel erhalten.
Mein Bruder9 hat mich nun auch verlassen. Er ist wieder zu Hause gereißt, nachdem er ohngefähr 15 Jahre sich hier aufgehalten und einiges Weniges erworben hat. Nun bin ich allein u meine Sehnsucht nach Deutschland ist oft sehr groß, obwohl man sich jetzt in Deutschland unmöglich wohl fühlen kann[.] Ists denn wahr daß die Gesangvereine in Hessen auf Kurfürstlichen Befehl geschlossen sind? Ist so etwas möglich? Das ist Sibirien! Der politische Horizont verdüstert sich immer mehr. Mir scheint es ein Kampf des Lichtes mit der Finsterniß und das Licht wird siegen und es wird eine Zeit fürchterlicher Widervergeltung kommen!
Hoffentlich werden Sie zum Musikfeste im Juli nach Rotterdam kommen und ich freue mich außerordentlich Sie zu sehen und hoffe Sie werden Dordrecht nicht vorbei fahren ohne uns ,Eine kleine Colonie, wo man Sie so hoch verehrt“ besucht zu haben!
Außer daß ich mich verlassen fühle und ohne musikalische Nahrung bin, geht es mir recht gut. ich habe sehr viel zu thun u nur ein paar Quartette sind es die ich in Arbeit des vergangenen Jahres habe hervorbringen können. Wenn man Tags über Lectionen geben muß u Abends oft sehr ermüdende Repetitionen, so flieht die Muse.
Wenn ich im vergangenen Jahre fragte, was Sie hochverehrter Herr Generalmusikdirector wieder componirt hätten, so war es die Begierde es zu wissen u in meinem Catalog Ihrer Werke eintragen zu können. Ich möchte nicht unbescheiden erscheinen. Wenn man wie Sie gewirkt hat, wenn man solche Meisterwerke hervorgebracht u überhaupt ein solches thatenreiches Leben geführt hat wie Sie, so hat man volles Recht zu ruhen. Allein ich glaube nicht daß Ihnen dieses möglich ist und ich erwarte doch noch recht viele neue Werke von Ihnen. Über ein Sextett und über ein Solo Quartett mit Orchester habe ich in Englischen Blättern viel Gutes gelesen.10 Kürzlich ist der Fall Babylons wieder in Utrecht aufgeführt11 und die Weihe der Töne ist buchstäblich die Lieblings Symphonie der Holländer.12 Sie müssen sich mit dem Lose aller großen und berühmten Männer begnügen. Erst später dringen ihre Werke allgemein durch und kommen zu voller allge[meiner] Anerkennung. Was sich zu schnell Bahn bricht ist s[elten] daß Bessere u Dauerhafte!
Wie unendlich Sie mich erfreuen würden wenn [Sie] mich einiger Zeilen würdigten, darf ich Ihnen w[ohl nicht] betheuern?
Indem ich nun um meine dringendsten Empfehlungen an Frau Generalmusikdirector und Grüße an Hr. J. Bott bitte, wünsche ich Ihnen herzliches Lebewohl
Mit unendlicher Hochachtung und treuer Ergebenheit bin ich stets

Ihr gehorsamster
Ferdin. Böhme



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Böhme, 11.04.1853. Spohr beantwortete diesen Brief am 20.04.1854.

[1] Rechts auf und rechts unter dem Adressfeld befinden sich zwei verwischte Poststempel.

[2] Spohrs Nicht Rosalie Spohr.

[3] Vgl. X., „Amsterdam. Felix Meritis“, in: Caecilia <Utrecht> 11 (1854), S. 71-74, hier S. 72.

[4] Vgl. „[Velen, welke op het laatste Stads-Concert]“, in: Utrechtsche provinciale en stads-courant 13.03.1854, S. [2]; „Toonkunst“, in: ebd. 29.03.1854, S. [3]; [Florentius Cornelius] Kist, „Maatschappij tot bevordering der Toonkunst, Afdeeling Utrecht“, in: Caecilia <Utrecht> 11 (1854), S. 63ff., hier S. 64.

[5] Vgl. „[Het laatste concert Diligentia voor dit saizoen]“, in: Dagblad van Zuidholland en 's Gravenhage 15.03.1854, S. [3]; „[HH. KK. HH. Prins en Prinses Hendrik hebben gisteren avond met hunne tegenwoordigheid vereerd het zevende concert Diligentia]“, in: ebd. 17.03.1854, S. [2].

[6] Vgl. J., „Dordrechts-Concert, den 22 Maart 1854“, in: Caecilia <Utrecht> 11 (1854), S. 87.

[7] „sich“ anscheinend aus ursprünglichem „hier“ verbessert.

[8] Spohrs Bruder Wilhelm Spohr.

[9] Wilhelm Eysholdt.

[10] Zum Sextett vgl. „Quartett Concerts. Crosby Hall“, in: Musical World 31 (1853), S. 55f.

[11] Vgl. „Toonkunst“, in: Utrechtsche provinciale en stads-courant 29.03.1854, S. [3]; [Florentius Cornelius] Kist, „Utrecht-Zanggennootschap“, in: Caecilia <Utrecht> 11 (1854), S. 75f.

[12] Vgl. X., „Amsterdam. Felix Meritis“, in: Caecilia <Utrecht> 11 (1854), S. 71-74, hier S. 72; „’s Gravenhage“, in: ebd., S. 74f., hier S. 74.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (09.10.2020 ).