Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus. Autogr. A. Schmitt A 165

Seiner Wohlgeboren
Herrn Capellmeister Spohr
in
Cassel.


Hochverehrter Freund!

„Schon wieder Brief! werden Sie sagen.
Nun – um einen etwaigen Mißverständniß vorzubeugen – meine heutigen Zeilen.
In den letzten Wochen erhielte ich zwei Brief von Frau von Baumbach, unter welchem Ersten unten angemerkt war: „Ihre Symphonie ist nicht angekommen“; und unter dem Zweiten: noch ist Ihre Symphonie nicht angekommen.
Natürlich hatte ich nichts eiligeres zu thun, als: jedesmal zu Herrn Winzheimer zu gehen, und ihm dieß zu sagen.
Dieser war ganz erstaunt u. aufgebraucht zugleich über die Nachläßigkeit der Eisenbahn, und gieng beidemale hin, und beklagte sich über solche Fahrläßigkeit, besonders da – wie er sagte – dieß in der Kürze das drittemal sei, wo ihm von Seiten der Eisenbahn solches wiederfahren sei.
Irre ich nicht, so hat Herr Winzheimer schon den 21ten Januar1 Ihre Ouverture und meine Symphonie an Sie geschickt, den 22ten Januar gewiß, auf welchen letzten Tag Sie auch von mir Brief erhielten, daß heißt: vom 22ten datirt.
Nun sollte ich doch wohl denken, daß jetzt alles richtig angekommen ist; wo nicht? so bäte ich sehr: mir es gütigst zu melden, damit gleich Nachforschungen angestellt werden.
Was nun meine Symphonie betrifft, so bitte ich Sie sehr: so nachsichtig damit zu sein, wie möglich. Sie scheint mir viel zu einfach und unschuldig für die jetzige Zeit zu sein, welches wohl die Ursache ist und sen mag: weil diese für einen Liebhaberverein geschrieben ist, wo man sich nicht frei kann gehen lassen, und Einem – wenigstens mir – bei allem, was Einem so einfällt, eine innere Stimme zu ruft: Sie könnens nicht machen!
Wenn Ihnen etwas darin auffallen sollte, so wird es sicherlich die Einfachheit und Undschuld sein, das heißt: ein allzu große Ungeduld, die die Jetztwelt? - „Dummheit“ heißt und schilt. Mag sie! das Hyperromantische der jetzigen Schreibart? - Wie konnte ich gefallen daran finden und mich damit befreunden. Indessen scheint man doch wieder zur Vernunft kommen zu wollen, wenigstens hier.
Schade, daß jetzt nicht ein recht genialer-begeisterter Mann hier an der Spitze stehet! an Sinn u. Empfänglichkeit – fehlt es keines Weges, dieß muß man den Frankfurter nachsagen. Aber – eine Oper wird dirigirt wie die andere! der nehmliche Taktstock, und immer das Nehmliche und dasselbe! Wenn‘s geht und klapt u. kracht – so ist‘s fertig. Von dem Dufte und der Poesie, die über den besseren Werken schweben? - keine Rede mehr. So geigen sie auch! und wenn man mir die Augen verbände, und das ganze Heer der belgischen Violinspieler mir vorspielte, so würde ich sagen: „es war nur Einer.“ Die Individualitäten gehen so verloren, Einer macht ein Gesicht wie der Andere. Die Zeit ist eben so! und wenn diese Menschen nur noch bescheiden wären! aber absprechend, bis zum Ekel! Meine Antwort ist immer: mein Gott dieß versteht ihr ja besser!
Meine jüngst ausgesprochene Befürchtung wegen Krieg2, scheint sich im Augenblick nicht bewahrheiten zu wollen. Ein Glück wär‘s! Die vier Mächte kommen mir vor, wie der Mohr und Papageno in der Zuaberflöte: „Es ist – der Teu-fel si-cherlich. Hab‘ Mitleid! hab Mitleid! erbarme dich etc. etc. etc. und laufen auseinander. Auch die allerunterrichtesten Männer sagen u. behaupten jetzt: es gäbe Frieden, denn Krieg? - einen unvermeidlich allgemeinen Krieg? könne und dürfe man nicht sagen. Doch wo komme ich hin? der Fiedelbogen ist doch mein Ruf u. meine Bestimmung. Nun, ein bischen – so neben bei zu politisiren, muß man dem Musiker nicht so hoch anrechnen; wir rechnen es dem Anderen ja auch nicht so hoch an, wenn sie dummes Zeug über Musik sprechen.
Ihrer verehrten Frau Gemahlin, bitte ich recht viel Empfehlungen von mir ausrichten zu wollen.
Da nun die beiden angeführten Zauberflötler sagen und sich einander bitten: „hab Mitleid“ so füge ich Ihnen noch hiezu: „Hab‘ Nachsicht! Hab Nachsicht!“ Bitte haben Sie wirkliche Nachsicht mit meiner Symphonie, Ehrlich meint dieß,

Ihr Sie hochverehrender
Freund Aloys Schmitt.

Frankfurt a/m den 14ten Februar
1854.

Autor(en): Schmitt, Aloys
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Baumbach, (Frau) von
Wintzheimer, Vincenz Joseph
Erwähnte Kompositionen: Schmitt, Aloys : Sinfonien, Es-Dur
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Kassel>
Philharmonischer Verein <Frankfurt am Main>
Stadttheater <Frankfurt am Main>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1854021445

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 22.01.1854. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] „Januar“ über der Zeile eingefügt.

[2] Möglicherweise der im März 1854 von England und Frankreich gegenüber Russland erklärte Krimkrieg.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.04.2018).