Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus. Autogr. A. Schmitt A 164

Frankfurt a/m den 22ten Januar 1854.

Hochverehrter Freund!

Bis diese meine Zeilen in Ihren Händen sind, wird auch die verlangte Musik von Herrn Winzheimer in Ihren Händen sein.
Da ich nun auf Niemand – vorzüglich auf einen so durch und durch braven, reelen Mann, wie Winzheimer, Etwas kann sitzen lassen, so bemerke ich Ihnen: daß ich an der Verzögerung der Absendung schuld bin.
Vor etwa 3 Wochen, oder wie lange es ist, bemerkte mir Winzheimer: daß er Ihre Ouverture aus dem Theater wollte holen lassen, u diese Ihnen sogleich schicken, mit dem Beifügen: daß ich meine Symphonie beifügen möge, da es in Einem hingienge.
Nun dachte ich: daß er es mir wollte wissen lassen, ob und wann er Ihre Ouverture erhalten habe? - Nun wurde ich unwohl und konnte längere Zeit nicht ausgehen, woher sich das Mißverständniß erst lößte, bis ich denselben erst wieder sah und besuchte, wo ich dann zu meinem Schrecken erfuhr: daß derselbe schon längst auf meine Symphonie wartete, um die Sendung vorgehen1 zu lassen. Soweit meine Entschuldigung, wo es sich dann von selbst ergiebt: daß ich der Sünder bin, nicht Winzheimer.
Nun bitte ich – als guter Katholieke - mich entweder zu absolviren, oder mir2 eine schwere Buße aufzulegen.
Ein Wort über hier und meine Symphonie! - Die hiesigen Zustände – in Musik so wohl, wie in Allem - sind wahrhaft beklagenswerth, denn der Cliquengeist u. die Partheiwuth, und die sogenannten Kunstpächter - machen Alles, und was3 diesen nicht geht – wird entweder intriguirt – oder? - bei Seite geschoben und ignorirt.
In Allem und Allem so! - Dinge könnte ich Ihnen erzählen, die an‘s Unglaubliche grenzen; Jedoch, wozu solche Dinge? - Es ist zu unwürdig, sich lange dabei aufzuhalten. Haben Sie mir hier fast alle Institute doch zu geschlossen! und: mich auffordern;4 zu spielen – oder gar: Etwas von mir aufzuführen, daran ist nicht zu denken, und wenn dieß einmal geschieht – wie neulich – wo sie eine Ouverture von mir im Museum aufführten5 – so geschieht dieß nicht ehrenhalber, sondern Schanden halber. Selbst Anregung zu geben`dazu bin ich zu stolz.
Was nun meine Ihnen geschickte Symphonie betrifft, so bemerke ich Ihnen: daß dise – mit noch mehreren anderen Symphonien und Orchester-Werke – einst für den Instrumentalverein – den ich damals dirigirte, ihnen später den Dirigentenstab vor die Füßen geworfen habe, da ich mich nicht beisen(???) und intriguiren lassen wollte – komponirt ist, also für ein Orchester von Liebhaber. Der selige André fügte, wenn von diesem Worte die Rede war, jedesmal das Wort „Stroh“ bei, nehmlich „Liebhaberstroh“.
Später hin verliert man die Geduld, mit Liebhaber sich zu befassen, da man dieselben – auch bei allem Fleiß wie über einen gewissen Punkt wegbringt; Es ist u bleibt immer ein Quälerei! - Gottlob! daß ich dieß bleierne Kleid wieder aushabe!
Als ein – für Liebhaber geschriebenes Werk – ist also meine Symphonie zu betrachten. Was dieß heißt? brauche ich Ihnen – dem Meister – nicht erst zu sagen. Was Einem da auch einfällt, findet man unpassend u. so schwer, und immer ruft Einem eine Stimme zu: Sie können nicht nicht machen! Wenigstens bei mir so. - - Für die jetzige marmorne, hyperromantische Schreibart – dieß fühle ich wohl – ist diese Symphonie viel zu einfach, plan und natürlich. Man will jetzt Theater und Tausend u. eine Nacht! irgend eine unheimliches Geschichtchen! Widrigenfalls – es für veraltet erklärt wird. Nun, Sie wissen ja das!
Geht‘s an: das Streichquartett möglichst zu verstärken, namentlich die Bässe u. die Viola – und das Violasolo im Trio vom Menuett – von einem ausgezeichneten ViolaSpieler vortragen zu lassen – der aber – weit Voraus stehen muß, nicht nicht unter den Bratschisten, sondern appart und allein – so möchte es noch angehen, u. die beabsichtigte Wirkung erreicht werden. Das meinen Sachen – so wie mir – ein gewisses Feuer nicht abzusprechen ist – fühle ich wohl.
Das Blech u. schwere Geschütze – gebrauche ich in der Regel nur dann, wenn sie mir die Dachmarder einfahren sollen, daß heißt: mit der gehörigen Kraft und Sicherheit.
Nicht um Ihnen einen Wink zu geben, sage ich Ihnen dieß, nein, nur lediglich darum: weil ich mit Ihnen reden – und mich mit Ihnen unterhalten will. Vergesse ich doch nie, wie Sie einst meine „Sinfonia appassionata“ dort aufführten!6
Wie edel war die Aufführung! welche hohe Individualität zeigt sich in dem verehrten u. bewunderten Dirigenten! - Nicht vom Werke spreche ich.
Aus einem mangelhaften Werke Etwas machen? - daß heiße ich wahre Kunst! - Groß geborene Werke! - setzen sich sicher mehr von selbst durch. Dieß ist u. war von jeher auch mein Bestreben, wenn ich Etwas vortrug. Ich möchte wohl dort sein, wenn Sie meine Symphonie geben u. aufführen!
Und noch ein Wort. Könnten u. wollten Sie – falls mein Werk Ihnen gefällt – u. Sie es für würdig halten – Etwas darüber zu sagen veranlassen wollen, so wäre es in dieser hochtrabenden, verworrenen Zeit, unstreitig von Nutzen. Aber nur in obigem Fall, denn – Gott soll mich bewahren, für Etwas gelten zu wollen, was ich nicht bin. „Sage“ - und nicht „Schein“.
Recht thut es noth, daß Gescheutes u. Gerechtes wieder gesagt u. geschrieben wird.
Die Journalistik hat entsetzlich viel verdorben, u. alles irre gemacht! so: daß mir oft vorkömmt: als seien die Menschen wenigstens halb toll u. verrückt; hier wenigstens.
Geschäh dieß? - würde meine Symphonie nicht ganz spurlos doch vorübergehen? so würden so manche große Augen machen, die jetzt die Achsel zucken, obgleich eine Neigung zu einer gewissen Anerkennung nicht zu verkennen ist. Nur muß einmal ein großer Eisgang kommen. Ihr Wort gilt viel! und Ihre Macht u. Ihr Einfluß ist groß. Aber nochmal sage ich: etwas der Art nur in dem Falle: als Sie ganz damit einverstanden sind, anders durchaus nicht.
In dem vorletzten Museum spielte Herr Gleichauf, ein tüchtiger Violinspieler Ihre Gesangsscene, die – daß heißt die Composition – mit ganz außerordentlich gefallen hat, so wie dem ganzen – sonst theilnamlosen Publikum, welches denn endlich wieder einmal warm geworden ist. H. Gleichauf steht, als technischer u. mechanischer Virtuose höher, wie7 als Musiker, wahr(???) es auch kam: daß es mich nur theilweise befriedigt hat.8 Hat es mir u. gar sehr vielen noch mit mir – einmal wieder so recht wohl gethan: wieder einmal eine poetisch erhabene Composition zu hören, die – gleich dem guten Weine im Faß – immer besser u. geistreicher wird, ja auch dem mir gescheuter u. geläuteter werden, das Orchester spielte künstlicher Wärme u. innerer Theilnahme, so: daß alles – vor u. nachher – sehr dagegen abfiel.
Nächstens – sagt man – käme H. Schumann mit seiner genialen Gattin hierher, um im Museum eine Symphonie von sich aufzuführen u. zu dirigiren, u. seine Frau Etwas – ich glaub‘ auch von ihrem Mann – spielen soll.9
Sie – spielt wirklich süperb Clavier! wohl doch die Erste wenigstens einer der Ersten jetzt? - Was nun meinen Sohn, Georg Aloys, anbelangt, so ist dieser außerordentlich fleißig, u. vervollkommnet sich zusehens, so wohl im Spiel, als in der Composition.
Nur thut mirweh, daß ich ihn nicht heiter finde. Daß er ohne Anstellung ist, scheint ihm sehr tief zu gehen. Vergessen Sie denselben nicht! - Ueber seine jetzige Leistung – glaub‘ ich – werden Sie jetzt erstaunen, in jeden u. allen Hinsichten. Es ist immer Alles ganz dahin genommen, wenn er spielt u. Sachen von sich aufführen läßt. - Vergessen Sie ihn nicht! Sehr bitte ich Sie darum. Mit Dessau ist‘s nichts wie es scheint.
Was nun die politischen Angelegenheiten betrifft, so fürchte ich, kann uns der März viele „rfz“10
Die jetzige Apathie u. Theilnamslosigkeit an Ernstem in der Masse, möchte Einem oft unbegreiflich scheinen. Indeß kümm‘re ich mich wenig darum, da es doch nichts hilft – u. wir mit dem Fiedelbogen eben(?) nichts ausrichten.
Nun leben Sie wohl, u. empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin bestens. Mit inniger hoher Verehrung bin u. bleibe ich Ihr

ergebener Freund Aloys Schmitt.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Schmitt. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schmitt an Spohr, 14.02.1854.

[1] Hier zwischen „vor“ und „gehen“ über der Zeile eine Einfügung: „bei“(???).

[2] „mir“ über der Zeile eingefügt.

[3] „was“ über der Zeile eingefügt.

[4] Hier zwei(?) Buchstaben gestrichen.

[5] Ankündigung in: „Museum (Freitag, 6. Jan.)“, in: Didaskalia, 05.01.1854, nicht paginiert.

[6] Vgl. Spohr an Moritz Hauptmann, 03.03.1844; Otto Kraushaar, „Cassel, im April 1844”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 46 (1844), Sp. 321-324 und 333-337, hier Sp. 335.

[7] „wie“ über der Zeile eingefügt.

[8] Konzertankündigung in: „Museum. (Freitag, 6. Jan.)“, in: Didaskalia 05.01.1854, nicht paginiert.

[9] Der Aufenthalt kam nicht zustande, da Schumann kurze Zeit später erkrankte und in die Nervenheilanstalt Endenich kam (vgl. „Bonn, 15. März“, in: Didaskalia 25.03.1854, nicht paginiert).

[10] Abkürzung für „rinforzato“ = verstärkt, akzentuiert.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.04.2018).