Autograf: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main (D-F), Sign. Mus. Autogr. A. Schmitt A 163

Seiner Wohlgeboren
Herrn Capellmeister L. Spohr
in
Cassel.

fro.


Hochverehrter Freund!

Tausend Dank für Ihre gütige Verwendung in Betreff meines Sohnes, Georg Aloys, und Dessau. Wir wollen nun abwarten, welchen Erfolg es hat, und sollte es weiter keinen Erfolg haben – so beruhigtet mich der Gedanke: daß etwas geschehen ist, u. es durch Sie geschehen ist, so macht es mich ganz stolz.
Es versteht sich von selbst, daß wenn etwas vorfällt u. Brief von dort hierher kommen sollte, Sie es auf der Stelle erfahren.
Was nun die fragliche Ouverture von Ihnen betrifft, so knisterte Ihr Brief noch vom Aufmachen, als ich mich schon aufmachte, um H. Wintzheimer gleich selber darüber zu sprechen.
Freund Wintzheimer (Intendant des [???] Philharmonischen Verein) sagte mir: daß er die Sache wegen Aufführung Ihrer Ouverture vorigen Winter zum öftern und am Ende zum Ueberdruß seiner selbst bei Herrn Messer!!! angeregt habe, aber daß der H. Messer gar keine Anstalten zur Aufführung (wahrscheinlich aus Bequemlichkeit!) gemacht habe, so habe er die Partitur dem H. Capellmeister Gustav Schmidt gegeben u. ihn gebeten: diese doch so bald wie möglich aufzuführen. Als ich dieß heute von H. Wintzheimer hörte, so gieng ich gleich in‘s Teater, um den H. C. Schmidt darüber zusprechen, u. bemerkte, daß da die Millanollo nächster Tage hier im Theater Concert geben soll? eine schöne Gelegenheit sie, ein so interessantes Manuscriptwerk zur Aufführung zubringen etc. etc. etc.
Ob uns(?) was nun geschieht? wollen wir sehen. H. Wintzheimer wird H. C. Schmidt in desem Betreff heute noch einen Besuch machen.
Statt dem die Leute mit 10 Armen darnach heutzutage1 greifen sollten, wieder einmal etwas Neues Gescheutes von einem großen Meister, zum Gehör zu bringen, ist solches hier! - mit Schwierigkeiten u. Quälerei verbunden während die Conditorwaare – gar keine Schwierigkeiten hat.
Laut Abrede mit Freund Wintzheimer, will derselbe jetzt abwarten, was H. C. Schmidt thut. Führet derselbe Ihre Ouverture auf, so wird Ihne das Werk so gleich nach der Aufführung gesandt; führten sie H. C. Schmidt nicht bald auf, so bekommen Sie sie so bald wie möglich, u. ich lege eine Symphonie u. eine Improvisation für Orchester von mir bei, versteht sich: mit Partituren u. 4fachen Stimmen.
In München sagt man bekanntermaßen „Mußich, statt „Musik“ diesen Winter wird hier so viel Musik gemacht, daß ich Freunde der Musik zu weilen ebenfalls grafen hörte: „muß ich“ - Man sollte weniger Musik machen, aber besser, denn im Ganzen wir alles so herunter gehuppelt, u die Tempis!!! mein Gott! wie wenig Sinn haben die Menschen, wie wenig geht man ein in beste Werke!
Was mich nun betrifft, der mir irre geworden ist an dem, was man nicht nur für‘s ernste, wahre und gute hält, sondern, was es auch ist; und indem ich meinen Gang fortgegangen bin2, unbekümmert, was die Welt augenblicklich auch will u. verlangt, so mache ich doch so eigne Reflexionen, wenn ich vergleiche: was ich der Welt biete, u. was diese verlangt u. will.
Einfaches u. Solches, was mit der möglichsten Sorgfalt zutage gefördert ist, zugleich so tief empfunden, wie es unser Einem nur möglich ist, will man jetzt nicht, sondern Hyperromantisches - je ärger desto besser, welches ich nicht machen kann, u. wenn ich‘s auch machen könnte – es doch nicht wollte, aus Pietät gegen die Kunst – u. aus Achtung vor der Menschheit.
Aus diesem Grunde reiche ich jetzt dem Publikum Sachen von mir hin, mit einiger Befangenheit, obgleich mich der etwaige Tadel gar nicht kümmern würde, u. was man so schwatzt u. sagt u urtheilt.
Indeß will ich nicht klagen, denn – wie Sie vielleicht gehört haben werden – hat man in den letzten Jahren meine Sachen immer noch ehren voll genug aufgenommen, mehr, als ich mir aus denken konnte. Freilich sind Solche?3 Wenige. Die Masse – ist eben verdorben, u. ein Hopser ist ihnen lieber, als alls das Tiefempfundene u. Ernste.
Schiller hat recht, indem er sagt: „wenn die Kunst zu Grunde geht, so geht sie durch die Künstler selber zu Grunde.4 Man will jetzt blos gefallen u frey(???) komponiren – zuckersüß – was so gleich in die Ohren geht!
Dies nur als Vorläufer meiner Symphonie u. der Improvisation. Wollen wir uns vorläufig wenigstens erfreuen: das den sogenannten Equilibristen das Handwerk gelegt ist, wenigstens hier zu Lande.
Der Raum ist zu Ende, u ich spräche noch so gern mit Ihnen! Nochmals tausend Dank für Ihre Güte – wegen meines Sohnes.
Mit der innigsten Verehrung

Ihr treuergebener Freund Aloys Schmitt.

Frankfurt a/m den 15ten December
1853.

Autor(en): Schmitt, Aloys
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Messer, Franz Joseph
Schmidt, Gustav
Wintzheimer, Vincenz Joseph
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Erwähnte Institutionen: Philharmonischer Verein <Frankfurt am Main>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1853121545

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Schmitt. Spohrs Antwortbrief ist derzeit ebenfalls verschollen.

[1] Hier gestrichen: „darnach“.

[2] „bin“ über der Zeile eingefügt.

[3] „?“ über der Zeile eingefügt.

[4] Schmitt schließt das Zitat nicht mit einem Ausführungszeichen ab. - Zitat noch nicht identifiziert.

[5] Aequilibrist = „Schwebekünstler, Seiltänzer“ (Dr. Hoffer‘s allgemeiner österreichischer Haus- und Geschäfts-Sekretär und Rechtsfreund. Ein unentbehrliches Hülfs- und Auskunftsbuch in allen Angelegenheiten des Familien- und Geschäftslebens, 5. Aufl., Wien 1853, Anhang S. 7).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.04.2018).