Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Albrecht:6

Verehrtester Herr Hofkapellmeister!

Ich darf meinen Brief wohl so anfangen: Gönnen Sie mir das wehmüthige Vergnügen, an Sie zu schreiben! – weil ich gleich beifügen kann, daß ich nunmehr wieder ein Jahr lang verschiedene vergebliche Versuche und Anläufe gemacht habe, und es nicht einmal so weit bringen konnte, daß auch nur 4 gute Musiker sich vereinigt hätten, um ein Violinquartett von mir zu spielen. Da thut es mir wohl, zu danken, daß Sie, ein so hervorragender Künstler, schon manche Annäherung von meiner Seite überraschend wohlwollend aufgenommen haben, und daß es vielleicht nicht Ihr Wille seyn werde, in Zukunft gar nichts mehr von mir hören zu wollen.
In meinen Ihnen bereits bekannt gewordenen Verhältnissen kann ein Brief von mir an Sie nichts anderes als ein Bittbrief seyn. Der gegenwärtige ist es auch. Möchte ich Sie durch meine Bitte nicht ungeduldig machen!
Eine Persönlichkeit, welche Göthe in seinen Werken aufstellt, und vor einigen Jahren in meiner eigenen Gemüthstätigkeit und sogar in meinen äußeren Lebensverhältnissen einen lebhaften Wiederklang gefunden hat, regte mich an, eine Symphonie zu schreiben, mit welcher ich ein größeres, zusammenhängendes Seelengemälde beabsichtigte. Vor und neben dieser Arbeit bin ich den mir von Ihnen empfohlenen Partiturstudien fleißig obgelegen, und ich glaube, daß diese meine neueste Arbeit in Hinsicht auf Inhalt und Ausführung jede meiner früheren übertrifft. Freilich vor Ihnen immer noch eine Schülerarbeit!
Für dieses Kind meiner Kunst gewidmeten, einsamen Stunden komme ich bittend bei Ihnen ein; erstlich, ob ich dasselbe überhaupt vor Ihnen erscheinen lassen darf, zweitens, – u. ich getraue mich fast nicht, es zu schreiben, – ob ich hoffen dürfte, daß Sie meine Symphonie Ihrem Hoforchester zum Vortrage vorlegten, wenn Sie die Arbeit solcher Auszeichnung würdig erkannt hätten. – Eine bejahende Antwort würde mir mehrere lebhafte Wünsche zugleich in Erfüllung bringen. Denn alsdann würde ich ja auch nach Kassel kommen, und Sie sehen, und Ihnen doch mit mündlichen Worten danken können; und ich würde in wenigen Tagen mehr und Gewichtigeres für meine Bildung hören und sehen, als mir in meiner gegenwärtigen Lage Jahre zubringen; auch würde ich persönlich von Ihnen gekannt werden, und dies rechnete ich mir zu großer Ehre und zu großem Vortheile an; denn ein nur briefliches Kennenlernen ist doch immer nur ein oberflächliches, und wenn ich persönlich vor Ihnen erschiene, würden Sie bald wissen und mir sagen, wohin und wozu ich vielleicht einmal zu gebrauchen oder auch nicht zu gebrauchen wäre, und solche Gewißheit wäre für mich in jedem Falle ein Vortheil. Die Hoffnung auf Ihre Güte, verehrtester Herr Hofkapellmeister, belebt mich bereits dermaßen, daß ich bei Zeiten daran denken muß, Ihnen nicht allzulange und nicht allzu poetisch zu schreiben, wie ich dies wohl schon einmal gethan habe.
Aus Hannover habe ich keine Antwort erhalten; ich darf aber wohl als bestimmt annehmen, daß mein hierauf bezügliches Schreiben nebst Zulagen von Ihnen mit Ihrer gewöhnlichen Güte befördert worden ist.
Nehmen Sie, hochverehrter Herr Hofkapellmeister, meinen innigsten Dank für Ihr vieles Wohlwollen gegen mich! Ich zeichne mich mit vorzüglicher Hochachtung, verehrtester Herr Hofkapellmeister, Ihren

ganz ergebenen
Moritz Albrecht,
Musiklehrer in Murten, Canton
Freiburg.

Murten, den 30 August 1853.

Autor(en): Albrecht, Moritz
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Goethe, Johann Wolfgang von
Erwähnte Kompositionen: Albrecht, Moritz : Sinfonien, D-Moll
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1853083043

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Albrecht an Spohr, 05.08.1852. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (17.10.2023).