Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Hochwohlgeboren
Herrn
General-Director u. Hofkapellmeister
Dr Louis Spohr
in
Kassel.

Frey


München d. 1ten August 1853.

Hochgeehrtester Herr!

Ihr Schreiben, nebst dem Zeugniß1 u. s. Beilagen ist mir gestern Abends zugekommen. – Ich habe in der lezten Zeit jeden Tag u. jede Stunde gezählt und mich schon mit allerhand Ideen geplagt, als z.B. Sie könnten mir böse sein, od. gefunden haben, daß meine Ohren noch zu kurz seien, um dammit zufrieden sein zu können p.p. So ich nun aber wiederhohlt gesehen habe, daß Sie mich nicht verlassen haben, und mir Ihr Wohlwollen auch fernerhin schenken, so bin ich jezt wieder so unendlich glücklich, daß ich nicht genug das leitende Schicksal preisen kann, das mich zu einer Zeit, wo ich die Noten noch nicht recht kannte, den größten Geist der jezigen Zeit u. den herrlichsten Character so sicher finden ließ. Und wenn es Jemand gibt, der in die Zithate „groß u. edel“, (die Ihnen eine Zeit beilegte, welche Ihren Werth richtiger erkannte, als das jezige Schlendrians-Zeit-Alter) – mit gleicher Ueberzeugung einstimmt als Künstler wie als Mensch, so bin ich es. Ohne den „Künstler“ Spohr wäre ich vielleicht bis jezt noch ein Nichts und ohne den „Menschen“ Spohr schon längst vielleicht ein liederlicher Tropf. Aber die Idee, Ihnen mit dem Frieden der Unschuld im Geiste, unter die Augen treten zu können, hat mich immer rein u. leidenschaftslos erhalten. Sie haben sich deßhalb mit Ihrem Edelmuthe verdienter um mich gemacht, als Sie es wissen können. Denn der, der behauptet, ich entbehre Alles Leichtsinns u. es kostet mich keine Mühe gut und brav zu bleiben, der hat entweder längere Ohren noch als ich selbst, oder er kennt mich nicht. –
Sie werden mir die Freiheit, mit der ich Ihnen Alles so sage, wohl
entschuldigen, denn: sehen Sie, ich denke mir oft so, daß Sie schon vielen Undank erfahren haben müssen, bei Ihrem edlen Character. Ich wünsche deßhalb nicht, daß Sie je finden müßten, Sie hätten Ihr Wohlwollen an einen Unwürdigen verschwendet, sondern vielmehr mit der Zeit an mir, „in jeder Hinsicht“ Freude erleben könnten. Sie wissen ja so schon, daß ich mich nicht anders bedanken kann! –
Mit einem so glänzenden Zeugniß, wie das Ihrige ist, wird es mir nun zweifelsohne gelingen, eine anständige Summe Geldes zu erhalten, und die glücklichste Zeit meines irdischen Daseins in Kassel zu verleben. Herr v. Marschall sagte mir s.Z. u.a., daß Er mit dem jungen Regenten v. Baden, der sich für die Kunst sehr interessirt, über mich gesprochen habe. Daß sich Höchstderselbe für mich interessirt hätte. Ich denke, es wird nun schon gehen. Jedenfalls muß ich aber eine solche Summe bekommen, die mir erlaubt, wenn auch nur kurze Zeit, doch so anständig in Kassel leben zu können, wie es die zarte Rücksicht für Sie, mir zu erfordern scheint. – Ich werde deßhalb Nichts unversucht lassen, es ist ja, so Gott will, die lezte ehrenvolle Lotterie! Denn das Industrie-Ritterthum und die Habenichtserei bekomme ich [???] dick und ein Gulden, den ich verdiene, ist mir lieber als 10 Fl. die ich geschenkt annehmen muß. Aber das ist ja die Rache, die sich das Schicksal an dem nimmt, den die Natur, manchen Andern gegenüber, – bevorzugt! – . – .
Die 4te [...]2 No Ihres Oratoriums3 in Es-Dur – (Petrus: – „Ewig [fließet, m]eine4 Zähren!“) Larghetto ist an Erfindung u. Form der[...]5, daß ich nicht umhin kann, Ihnen darüber, – wenn e[s] erlaubt ist – mein ehrfurchtvollstes Kompliment zu machen. Ich habe leider Ihren „Faust“ nicht bekommen können; denn Musikalienhandlungen u. die Conservatoriumsbibliothek haben hier nur dummes Zeug. Ich erinnere mich aber klar einer Stelle, die Ihrem inneren Wesen nach zu den einfach ergreifendsten gehört u. ich kann auch nicht umhin, Ihnen selbiges anzudeuten. Sie ist in einer Arie – (ich glaube B Dur.) im Bass, woßelbst eine schon vorher in den Oberstimmen reizend angekündigte Figur sich fortsezt, mit den Hauptnoten des Basses in guten Takttheilen: pp.
Ich darf Ihnen ja schon solches sagen, da ich es als das schönste ansehe wenn ich eimal in eigenen Werken der Welt zeigen kann, daß ich auch in der Musik wie im Leben Sie hochachte. –6
Und, wie ich Ihnen bald beweißen kann, die Natur schenkt mir Ideen – Anschauungsweißen, die mir in der Musik die schönsten Stellen meistens „Ihrer“ Musikwelt zu verdanken lehren7 werden. – . – .
Sie, Herr General-Direktor! Sie müssen mir fein nichts verübeln oder mißdeuten! Nicht wahr? –
Schließlich meinen innigsten, herzlichsten Dank für Ihr Wohlwollen u. für Ihr Schreiben u. Zeugniß. –
Mit dem Wunsche, daß Sie noch lange u. glücklich leben müßten und mich immer lieb haben
[G]rüße ich Sie freundlich

Ewig
Ihr
Keppner

Autor(en): Keppner, Franz Joseph (Sohn)
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Friedrich I. Baden, Großherzog
Marschall von Bieberstein, Adolf
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Faust
Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1853080146

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Keppner, 29.07.1853. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Keppner an Spohr, 30.08.1853.

[1] Dieses Zeugnis ist derzeit verschollen.

[2] Textverlust durch Siegel-Ausriss.

[3] Des Heilands letzte Stunden.

[4] Textverlust durch Siegel-Ausriss.

[5] Textverlust durch Siegel-Ausriss.

[6] Neben der Zeile eingefügt: „NB. So mir das Talent nicht dazu fehlt!“

[7] Hier gestrichen: „werden“.

Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (21.10.2019).