Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Münch. d. 11ten July 1853.
Hochgeehrtester Herr!
Mein Schreiben vom vorigen Monate wird Ihnen mit seinen Beilagen indeß zugekommen sein?! Ich bin nun so frey und sende Ihnen noch ein paar kleine Versuche nach und erwarte nun mit Sehnsucht eine Antwort. –
Ich schrieb Ihnen damals u.a. daß ich Sie mit einem Briefe jezt nicht mehr belästigen wolle, allein ich muß von meiner Zusage abgehen. Denn: einmal würde es mir doch sehr hart ankommen, wenn ich Ihnen, – theuerster Herr – Musikalien schickte und nicht auch ein paar Zeilen beilegen könnte; sodann habe ich Ihnen noch einiges Nothwendige zu schreiben. Unter Lezterem meine ich besonders die Nachricht, daß Herr v. Marschall nicht mehr Minister ist. Es ist dies für mich gerade nicht erfreulich, da ich jetzt „möglicherweiße“ mit meinem Gesuch um ein weiteres Staats-Stipendium durchfallen kann, was mich jezt in der That sehr leid würde. Denn, nachdem ich Mitte des lezten Monats Ihren „Faust“1 im Hoftheater hier das erstemal hörte, so habe ich die sichere Ueberzeugung, daß ein kurzer Aufenthalt in Kassel mir mehr nüzen wird, als jahrelange eigene Erfahrung. Da ich nun – ich will es nur gestehen – so eine kleine Hoffnung habe, als könnten Sie2 meinen an Sie gestellten Wünschen entsprechen, so wäre für „diesen Fall“ die materielle Unmöglichkeit zur Erreichung meines Zweckes, mir buchstäblich „entsezlich“. Was ich dann thue, weiß ich in der That nicht. Wäre Konstantinopel nicht zu weit weg, ich kommandirte eine Abthl. Kavallerie – mit Erlaubniß der Franzosen – gegen die Russen!
Schlagen Sie mir die Gewährung meiner Bitten ab und falle ich in Baden auch durch, so nehme ich meinen Krahm zusammen und gehe nach Wien. Die Gelehrten meinen, die Kultur ziehe nach Westen, ich gehe deßhalb nach Osten. –
An den Gräbern großer Musiker kann ich mich dann mitunder ein wenig mit „Ihnen“ trösten. –
Ich war in der That in Verlegenheit, was für Kompositions-Versuche ich Ihnen jezt senden solle, ohne mich zu blamiren; denn die Sachen sind von Zahl, aber nicht von Geist bedeutend, die ich seit meinem lezten Schreiben an Sie gemacht habe. Ein Gemisch von schulweißen Floskeln und geschmackbaarer Aneinander-Leimmung wohlderselben, sind diese Versuche die heir beiligen, nicht meine Arbeiten, und leiden an Wärme der Erfindung vor Allem. Ich fühle das wohl. Allein ich habe nichts Besseres. Bin ich recht mit den Formen vollends fertig und kann ich mit Liebe und Ausdauer an einer größern Komposition arbeiten, so werden Sie ganz andere Musik von mir sehen, als diese, bei der ich selbst, ohne Anstrengung einschlafen könnte.
Falls Sie mir meine Bitten gewähren könnten, so wäre eine Beurtheilung der Arbeiten nicht nothwendig; im a. Falle aber möchte ich, schon um ein paar Zeilen recht schön gebeten haben.
Die Ouvertüre aus E Dur fängt an, mir zu mißfallen und hätte ich sie nicht höchstselbst zusammengeflickt, ich glaube, ich würde wohl dieselbe für ein absurdes Zeug halten. Ich hoffe, daß Sie immer gesund und wohl sind und bitte Sie vor Allem um Ihr ferneres Wohlwollen! Schließlich grüße ich Sie recht herzlich und bin und bleibe ewig
In unbegrenzter Verehrung
Ihr dankbarer und
„innigst“ ergebenster
F. Keppner.
Zur Adr.: Adalbertstraße No 15/2.
Rückwärts.
Autor(en): | Keppner, Franz Joseph (Sohn) |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Marschall von Bieberstein, Adolf |
Erwähnte Kompositionen: | Spohr, Louis : Faust |
Erwähnte Orte: | Kassel München Wien |
Erwähnte Institutionen: | Hoftheater <München> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1853071146 |
Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Keppner an Spohr, 05.06.1853. Spohr beantwortete diesen Brief am 29.07.1853.
[1] Spohrs Oper „Faust“ feierte in einer Neueinstudierung am 12. Juni 1853 in München Premiere (Bayerische Landbötin, 07.06.1853, nicht paginiert).
[2] Hier gestrichen: „mir“.
Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (18.10.2019).