Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

München d. 5ten Juni 1853. – .

Hochgeehrtester Herr!

Ich nehme mir die Freiheit und schreibe Ihnen wieder einmal, da sich Manches in der Kunst u. im Leben seit meinem lezten Briefe geändert hat. – .
Mitte März d.J. erhielt ich einen überraschenden Befehl vom Großhzl. Bad. Kriegs-Ministerium, demzufolge ich, vom 31ten desselben Monats beim 3ten Infanterie-Regimment in Karlsruhe einzutreffen hatte. Ich war s. Z. durch die 1te Loos-Nummer Militär-frei. Nun fiel es aber einem Rekruten ein, kurz vor der Einrückungs-Zeit durchzugehen u. meine Wenigkeit hatte die Ehre wohldenselben zu ersezen. Durch den schlauen Beweis, den ich diesmal von meiner Kurzsichtigkeit ablegte, einerseits; – anderseits durch die gütige Verwendung des Herrn v. Marschall beim Herrn Kriegs-Minister erlangte ich meine Freiheit wieder. Doch verlor ich – mit kurzem Aufenthalt zu Hause – gegen 7 Wochen Zeit. Dammit Sie nicht etwa glauben, ich spreche in Bildern, so lege ich meinen ehrenvollen Abschied hier bei, da ich denselben nicht brauche. –
Zugleich erlaube ich mir, Ihnen einige Kompositions-Versuche hier beizulegen, u. werde, dammit Sie mir wo möglich die zwei – weiter unten – an Sie gestellten Bitten gewähren können, in einigen Wochen aus der Fugen u. Sonaten-Form Ihnen noch einige Versuche nachsenden. –
Da ich jezt mir die Freiheit nehme, Ihnen Alles mitzutheilen, was ich Ihnen zu sagen habe, so werde ich Sie sodann bei der Nachsendung weiterer Versuche mit einem Schreiben nicht belästigen. Auch bitte ich Sie erst nach Erhaltung derselben um die entsprechende Antwort. – .
Da ich im Monat August d. J. die Eingabe um eine weitere Staats-Unterstüzung in gesezlicher Form zu machen gedenke, so hätte ich an Sie die Bitte zu stellen, ein – falls Sie es nach diesen u. den, in Kurzem, Folgenden Kompositionsversuchen gut thun können, ein kleines Zeugniß über Fortschritt während des regelmäßigen Unterrichts u. über die Nothwendigkeit einer weiteren Staats-Unterstüzung zur weiteren Ausbildung, ganz allgemein auszustellen, da Herr Julius Maier das Einzelne schon berühren wird. – . – .
Meine zweite Bitte ginge dann dahin, daß ich mich nach Erhaltung des weitern Stipendiums – im September d. J. – nach Kassel begeben und Ihres Raths bei größeren Kompositionen theilhaftig werden dürfte, – falls Ihnen dann meine Kenntnisse in der Komposition hierzu genügend erscheinen würden. – . – .
Sollten Sie mir aber auch keine dieser zwei Bitten gewähren können, so wünschte ich doch, eine Beurtheilung meiner Versuche u. weiteren Rath von Ihnen, – wobei mir Ihr fernerer Wille Befehl sein wird. – . – .
Hinsichtlich der Formen bin ich Ihrem gütigen Rathe gefolgt, u. ich glaube, daß es mir nach Vollendung der Fugen u. der Sonaten-Formen (wommit ich bei den Herren J. Maier u. Leonhard erst vor Kurzem begonnen hatte) leicht werden wird, in der Musik ein vorgeseztes (namentlich ein formelles) Ziel zu erreichen. – . – .
Im Klavierspiel bin ich weniger glücklich. Die Unterbrechung hat mir viel geschadet. Doch thue ich unter einem guten Lehrer – H. Leonhard – mein Möglichstes. Auch sollten Sie – falls ich nach Kassel kommen kann, dammit nicht im Mindesten belästigt sein; – es wird sich – wenn fortgesezter Unterricht von Ihnen für nothwendig erachtet wird – schon wieder ein guter Klavierlehrer finden. – . – .
Wenn ich auch noch dießelbe Ansicht von der Welt habe, wie früher, so bin ich doch etwas heiterer geworden, besonders seit mir in einer guten Stunde die stoische Philosophie eingefallen ist und ich daraus entnommen habe daß man sich eine gewisse Absicht, „sich von Nichts sonderlich bewegen zu lassen, wenn es nicht gerade mit der Weltgeschichte in Berührung kommt“, zu einer Art Gewohnheit machen kann. Soviel ich z.B. ganz eigenthümlicher Verhältnisse (von denen man mit Niemand reden kann) halber früher schon u. in neuster Zeit ganz besonders, in der eigenen Verwandtschaft ungerechter Weiße und in Folge eines fortwährenden, unseligen Miß-Verständnisses zu leiden habe – die stoische Philosophie tröstet mich; – Aber einen Fall gibt es – und dafür besize ich keine Philosophie – – – „Wenn Sie mir je Ihr Wohlwollen entziehen könnten“!?
Je höher ich Sie, mit meiner wachsenden Ueberzeugung?, als den eigenthümlichsten Künstler aller Zeiten hochachten muß, desto schmerzlicher würde ich es empfinden, wenn ich Ihr Wohlwollen verscherzt hätte! –
Wenn Sie mir deßhalb nicht gerne ein Zeugniß ausstellen – es ist Nebensache; wenn ich nie das Vergnügen hätte, Sie persönlich kennen zu lernen – ich werde es schmerzlich empfinden; – aber lassen Sie meine Unerfahrenheit nie störend auf sich einwirken, u. gönnen Sie mir den schönsten Trost für Alles – den Trost – einstens auf Ihrem Grabe mit dem süßen, wehmüthigen Bewustsein weinen zu können: „Ich habe bis zu seinem lezten Augenblicke, das Wohlwollen des selbstständigsten Künstlers und eines Mannes von hohem Character besessen[“].

In unbegrenzter Hochachtung
Keppner.

Für Adresse:
Adalbert-Str. No 15/2. St. Hintergebäude.

Autor(en): Keppner, Franz Joseph (Sohn)
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Leonhard, Julius Emil
Maier, Julius Joseph
Marschall von Bieberstein, Adolf
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1853060546

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Keppner an Spohr, 12.02.1853. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Keppner an Spohr, 11.07.1853.

Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (18.10.2019).