Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Straßburg den 11. Mai 1853.

Hochgeehrtester Herr Kapellmeister!

Sie werden mich für recht unartig halten, daß ich Ihnen noch nicht gedankt habe für die gütige Übersendung Ihres Oratoriums: die letzten Dinge. Wenn ich in dieser Beziehung zu entschuldigen wäre, so würde ich es thun, aber ich sehe wirklich ein, daß kein Grund kräftig genug für eine Entschuldigung wäre. Doch ist es wahr, daß ich außerordentlich beschäftigt bin und daß ich vor Ostern eine Reise nach Paris gemacht habe, so daß ich jetzt erst, wo ich Sie wieder mit einer Bitte zu belästigen wage, meiner Pflicht nachkomme.
Beiligend überschicke ich Ihnen zwei Blätter aus einem Album mit der Bitte, auf jedes derselben einige Takte zu schreiben. Das eine ist für mich, das andere für eine hiesige sehr ehrenwerthe Dame, Madame Schneegans, die eine sehr große Verehrerin Ihrer Werke ist und die, beiläufig gesagt, die Soloparthien für Alt in Ihrem Oratorium gesungen hat. Sie dürfen mir nicht bös sein, geehrter Meister, daß ich von1 Ihnen so ohne alle Umstände diese große Gefälligkeit erbitte. Ich weiß wohl, daß Ihnen jeder Augenblick knapp zugemessen ist, aber Sie wissen auch, wie sehr ich Sie verehre und daß ich mir noch Tausende diese Verehrung theilen. Wenn ich jetzt, der ich früher das Glück hatte in Ihrer Nähe zu verweilen, Ihre Güte auf diese Weise in Anspruch nehme, so werden Sie mir diese Dreistigkeit nicht übel nehmen, das bin ich überzeugt.
Ihr Oratorium ist hier, wie Ihnen Herr Stern geschrieben haben wird2, zweimal recht gut aufgeführt worden.3 Da es aber zum Besten der Wittwen-Kassel gegeben wurde, so hatte ich nicht die Ehre es zu dirigiren, weil diese Conzerte immer Herr Kern dirigirt. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß durch diese Aufführungen sich der Kreis Ihrer Verehrer noch vergrößert hat und daß allen Liebhabern guter deutscher Musik dadurch ein großer Genuß geboten wurde.
Für die Übersetzung der beiden anliegenden Zeitungsartikel4 hatte ich bis jetzt noch keinen Übersetzer gefunden, doch hat es jetzt Jemand in Händen, der es mir ins Französische übersetzen wird. Später bei geeigneter Gelegenheit werde ich noch davon Gebrauch machen. Mit Nächstem schicke ich Ihnen die Originale wieder unversehrt zurück.
Mit der wiederholten Bitte, mir meine Dreistigkeit nicht übel zu deuten, verharre ich mit der größten Hochachtung und Liebe

Ihr
ewig dankbarer
Louis Liebe.

Meine Adresse:
Spießgasse No 35.
oder in 4 Wochen
Langstraße im Hause Hummel.

Autor(en): Liebe, Louis
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Kern, Karl August
Schneegans, Elisabeth
Stern, Theophil
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte: Paris
Straßburg
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1853051140

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Liebes an Spohr, 16.11.1852. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] „von“ über der Zeile eingefügt.

[2] Theophil Stern an Spohr, 18.01.1853.

[3] Kurze Erwähnung in: „Straßburg“, in: Allgemeine Zeitung <München> (1853), S. 3147f., hier S. 3148.

[4] Noch nicht ermittelt. – Liebe hatte Spohr um Notizen über seine letzte Englandreise gebeten, um daraus einen (anscheinend nie erschienenen) Artikel für die Süddeutsche Musik-Zeitung zu erstellen (vgl. Liebe an Spohr, 28.10.1852).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.09.2021).