Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Dordrecht April 3, 1853.

Hochverehrtester Herr Generalmusikdirector!

Empfangen Sie meine Gratulation zu Ihrem Geburtstage mit alle den herzlichen Wünschen die ich tief in meiner Seele für Ihr Wohl und für Ihr Glück hege! Wenn Sie auf Ihr Thatenreiches Leben zurückblicken, wie beglückend muß Ihnen der Gedanke sein: all daß habe ich hervorgebracht, all dieses habe ich gewirkt; hier habe ich genutzt, jenes erstrebt und undendlich mehr wolte mein Geist noch wirken! Es ist ein schöner Gedanke und er muß beglückend und beruhigend für Sie sein!
Gar manches Erfreuliche habe ich über Ihre Reise nach London im vorigen Sommer in Englischen Blättern gelesen, so wohl über die Ausführung Ihrer Oper Faust, als auch über den glänzenden Empfang, über die Verehrung u Huldigung einer großen nation. Mich freut dieses ungemein, da ich nur zu gut weiß wie sehr Sie solche Huldigungen verdienen und es muß Ihrem Herzen wohlthun, fortdauernd zu erfahren welche Hochachtung, Verehrung, Zuneigung u Bewunderung Ihnen die Welt zuträgt und dann werden Sie auch Manches vergesesen und weniger fühlen, was Ihnen Unangenehmes im gewöhnlichen Leben wiederfährt. Auch hier in Holland nimmt die Anerkennung u Verehrung Ihrer Werke stets zu und ich könnte Ihnen gar viele Beispiele anführen, dieses zu bestätigen.
Ihre Nichte, Fräulein Rosalie Spohr habe ich hier wieder im vergangenen Winter vergebens erwartet u doch hatte sie es so fest versprochen zu kommen. Wahrscheinlich hat sie sich durch die wenig reüssirte Reise der Gebr. Müller abhalten lassen und daß dieses so wenig erüssirt, ist wohl eigene Schuld mit. Man wußte kaum daß sie dawaren. Ich selbst der sie so gern gehört hätte, erfuhr erst nachher daß sie in Rotterdam gespielt hatten. Wenn nicht vorher weit u breit die Menschen durch Zeitungen aufmerksam gemacht werden oder Jemand, der die Umstände hier kennt und alles Nöthige vorbereitet, so kann eine solche Reise, was den materiellen Erfolg anbetrifft, nicht gelingen. Ich hoffe daß Ihre Nichte die Reise nur aufgeschoben und nicht aufgegeben hat.
Herr Dupont der jetzt in Halle ist, hat mir geschrieben wie freundlich Sie ihn aufgenommen haben u ich sage Ihnen recht vielen Dank für Ihre Güte, ihm bewiesen. Er ist voll Enthusiasmus über Sie und Ihre Rathgebungen u ich hoffe daß letztere auf keinen unfruchtbaren Boden gefallen sind. Im vergangenen Herbste habe ich eine Reise nach Paris gemacht um den Zustand der Musik daselbst kennen zu lernen. Es sieht gar merkwürdig mit der Musik dort aus. Die Theater scheinen mir des Gewinstes allein u nicht auch der Kunst habbar dazu sein u da ist auch nicht ein Subject von den ersten bis zu den Kleinsten die ihr eigen ich in den Ausführungen nicht auf den Vordergrund stelten. Und doch sind gute Kräfte u Mittel in Mengen da. Oft stellt die Pracht der Decoration, der Costume, Aufzüge, Ballette pp die Musik so in den Hintergrund daß sie ihre Bedeutung in der Oper ganz u gar verliert.
Unter den Bekanntschaften die ich gemacht, ist mir die mit Hector Berlioz die merkwürdigste. Er weiß sehr gut über Musik zu sprechen. Auch habe ich ihn einen geistreichen als freundlichen u zuvorkommenden Mann gefunden. In Functionen als Dirigent, wo er sehr gelobt wird, habe ich ihn leider nicht gesehen.
An Herrn Schumann in Düsseldorf habe ich ein neues Quartett für Streichinstrumente dedicirt u derselbst schreibt mir unter andern darüber „dem Quartett kann man nur Beifall schenken; es ist tüchtig durch und durch, echt quartettmäßig u höchst rein u correct geschrieben“.1 Es freut mich dieses u giebt mir Muth weiter zu arbeiten. Wie sehr Sie von Herrn Schumann u seiner Frau verehrt u gewürdigt werden, davon habe ich mich vor 1 ½ Jahren als ich in Düsseldorf bei ihnen war, selbst überzeugt u dieses freut mich noch weit mehr.
Hier in Dordrecht haben wir im vergangenen Winter das 25 jährige Fest vom Concerte gefeiert und ich hatte ein, durch die besten Künstler aus dem Haag u Rotterdam verstärktes gewaltiges Orchester u die Ausführung gelang so recht nach Wunsch.2 Ich möchte wohl immer ein gutes Orchester unter meinen Händen haben, denn ich finde daß es tausendmal leichter ist ein gutes zu leiten, als eines von Liebhabern.
Gar gern möchte ich nun wieder erfahren was Sie lieber Herr Generalmusikdirector in der letzten Zeit componirt haben u womit Sie nun beschäfftiget sind;3 wie weit Sie mit Ihrer Biographie gefördert sind und ob dieselbe zum Druck bereit ist? Ich erwarte sie mit Ungeduld. Jetzt ist es mir erst recht leid, daß ich bei den jahrelangen Umgange mit Ihren seeligen Eltern4 alle die Karacterzüge u Anecdoten aus Ihren Kinderjahren nicht notirt habe, die dieselben mir so oft erzählten. Einger erinnere ich mir noch recht deutlich. Hätte ich sie früher niedergeschrieben, so würden sie, gut wiedergegeben, sicher in einer Biographie von Ihnen einen passenden Platz gefunden haben. Ist es Ihnen möglich lieber Herr Generalmusikdirector so erfreuen Sie mich mit ein paar Zeilen, ich bitte Sie recht sehr darum. Zugleich bitte ich um meine allerbesten Empfehlungen an Frau Generalmusikdirector. Empfangen Sie mit meiner unbegrenzten Hochachtung und meinen aufrichtigen Wüsnchen für Ihr fortdauerndes Wohl meine freundlichen Grüße

Ihr gehorsamer
Ferdinand Böhme



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Böhme, 29.04.1852. Spohr beantwortete diesen Brief am 11.04.1853.

[1] Robert Schumann an Böhme, 08.02.1853, in: F. Gustav Jansen, Die Davidsbündler. Aus Robert Schumann’s Sturm- und Drangperiode. Ein Beitrag zur Biographie R. Schumann’s nebst ungedruckten Briefen, Aufsätzen und Portraitskizzen aus seinem Freundeskreise, Leipzig 1883, S. 208f., hier S. 208.

[2] Vgl. „Dordrecht“, in: Caecilia <Utrecht> 10 (1854), S. 19f., hier S. 20.

[3] Hier gestrichen: „Wie“.

[4] Ernestine und Carl Heinrich Spohr.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.10.2020 ).