Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

London, d 26sten März 1853.
6. Manchester Street.
Manchester Square.

Mein lieber Herr Kapellmeister,

Noch immer habe ich Ihnen nicht meinen Dank ausgesprochen, daß Sie mich so überaus gütig nach Leipzig hinempfahlen; ich spielte dort am 2ten Dezember das Conzert in h mol von meinem Großvater, und war glücklich genug, dem Publicum so zu gefallen, daß ich wieder hervorgerufen wurde;1 sollten Sie in den Leipziger musikalischen Blättern meiner nicht so lobend erwähnt finden2, wie ich es wohl gewünscht und erwartet hätte, so hat dies seinen Grund darin, daß ich auf Anrathen des Herrn Conzertmeisters David, den resp. Recensenten keine Besuche machte, doch werde ich mich wohl hüten, mir in Zukunft eine solche Nachlässigkeit zu Schulden kommen zu lassen. – Außerdem habe ich im Laufe des Winters mit gutem Glück in Berlin3, Hamburg4, und Lübeck Conzerte gegeben, und mich nun vor 14 Tagen mit der Mutter5 und Schwester6 auf den Weg nach London gemacht. Weil die Wege so zugeschneit waren; rieth man uns ab, über Calais zu gehen, und so machten wir die Reise von Hamburg mit dem Dampfboot, hatten wenig Wind, so daß nur meine Schwester etwas krank wurde und kamen in 50 Stunden hierher. Gleich nach unserer Ankunft erfuhren wir, daß Sie auch dieses Jahr wieder herkommen würden, um die letzten Conzerte der New Philhamonic Society zu dirigiren, und werden Sie sich wohl vorstellen können, mit welcher Freude wir diese Neuigkeit vernahmen; besonders da wir es um so weniger erwarten konnten, weil Sie uns letzten Sommer jede Hoffnung dazu nahmen. Nach der Meinung der hiesigen Künstler würden Sie Anfang Juni hier eintreffen. Augenblicklich dirigirt Lindpaintner diese Conzerte, er ist dazu von Stuttgart hergekommen, doch hat er viele Mühe davon, weil er nicht englisch spricht und keinen so gewandten Dolmetscher zu Seite hat, als Sie an Costa fanden; neulich hatte ich Gelegenheit seine Bekanntschaft zu machen, sonst hätte ich Ihre Güte wieder für mich beansprucht und Sie um einen Brief an Sie gebeten. Daß Benedict wieder solche Unglück gehabt, werden Sie wohl schon wissen; sein Schwager in München ist ganz plötzlich gestorben, so daß er auf 14 Tage dorthin gereist ist und nun dieser Tage wieder eintreffen muß; es ist doch schrecklich, wie das Schicksal diesen Mann verfolgt. – Für die Old Philh. Society habe ich bereits eine Eingabe gemacht, doch macht mir Bennett wenig Hoffnung, daselbst zu spielen, weil sich immer so unendlich viele dazu melden; es scheint mir überhaupt, als hätte ich in diesem Jahr durchaus keine besseren Aussichten, als im vorigen. Hätte ich nur erst ein einziges Mal in einer dieser großen Gesellschaften gespielt, so habe ich die7 Ueberzeugung, daß ich durchdringen würde, aber gerade dieses eine erste Mal fält8 so unendlich schwer, weil Niemand zu einem jungen Menschen Vertrauen hat, und ich auch bis jetzt nur von sehr wenigen in größeren classischen Compositionen gehört worden bin. – Lumley kann die Direction der italiänischen Oper in diesem Jahre nicht wieder führen, und so höre ich heute, daß Gye beide Opern leiten wird in diesem9 Sommer; ob er dem gewachsen ist, weiß nicht nicht; eigenthümlich ist es, daß vor einigen Tagen die ganze Theatergarderobe von her Majetsty’s theatre, und zu Spottpreisen, verkauft wurde, nun muß Gye dies ja alles neu anschaffen. Im April erwarten wir Mrs. Whittle und Margereth Taylor hier, wir freuen uns ganz unendlich, Sie wieder zu sehen. Da in einigen Tagen Ihr Geburtstag sein wird, erlaube ich mir zugleich, Ihnen meine besten Glückwünsche dazu zu übersenden, gleich wie von meiner Schwester und Mutter, die Sie und Frau Kapellmeister recht herzlich grüßen lassen; noch immer gedenken wir dieses Tages, wie wir ihn so vergnügt mit Ihnen, lieber Herr Kapellmeister verlebten. Bitte grüßen Sie den guten Knoop und Malsburg’s von und und gedenken Sie zuweilen Ihres Sie innig verehrenden Schülers

Bernard Hildebrand-Romberg.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Bernhardine und Bernhard Hildebrand-Romberg an Spohr, 05. und 07.07.1852. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Bernhard Hildebrand-Romberg an Spohr, 06.05.1853.

[1] Vgl. „Aus Leipzig“, in: Recensent (1852), S. 188.

[2] Vgl. „Achtes Abonnementconcert im Saale des Gewandhauses zu Leipzig. Donnerstag, den 2. December 1852“, in: Signale für die musikalische Welt 10 (1852), S. 451f., hier S. 451; „Leipzig. Achtes Abonnementconcert am 2ten December“, in: Neue Zeitschrift für Musik 37 (1852); „Leipzig, 2. Dec. Das achte Abonnement-Concert im Gewandhause“, in: Leipziger Zeitung (1852), S. 5776; „Das achte Gewandhaus-Concert am 2. December“, in: Leipziger Tageblatt und Anzeiger (1852), S. 4614; „Leipzig, 3. Dec. Achtes Gewandhausconcert“, in: Deutsche allgemeine Zeitung (1852), S. 2333; „[In dem ersten Abonnements-Concerte]“, in: Neue Berliner Musikzeitung 6 (1852), S. 382f.; „Leipzig“, in: Berliner Musik-Zeitung Echo 2 (1852), S. 399.

[3] Vgl. G.E., „Berliner Briefe“, in: Rheinische Musik-Zeitung 3 (1853), S. 1123f., hier S. 1124.

[4] Vgl. „Melodie“, in: Recensent (1852), S. 181ff., hier S. 182;

[5] Bernhardine Hildebrand-Romberg.

[6] Bernhardine, später verh. Schmidt.

[7] Hier gestrichen: „O“.

[8] Sic!

[9] Hier gestrichen: „Oper“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.02.2024).