Moritz Hauptmann an Louis Spohr in Kassel

Leipzig, den 3. März 1853,

Lieber Herr Kapellmeister!

Ich erlaube mir beikommend Ihnen ein musikalisch theoretisches Buch¹ zu übersenden, mit der Bitte, es freundlich aufzunehmen und ihm einen Platz auf Ihrem Bücherbrett zu gönnen. Daß Sie es lesen sollen, will ich Ihnen nicht zumuthen: der Inhalt ist sehr abstracter Natur und Sie haben es zur Freude und Erbauung der Welt mit dem Concreten zu thun, mit der lebendigen Production, nicht mit der Untersuchung der natürlichen Gesetze die ihr inne wohnen und nach denen sie hervorgeht. Mein Buch befaßt sich aber auch nur mit diesen natürlichen Bildungsgesetzen, nicht mit Anweisung zur praktischen Composition; und möchte sich zu einer Compositionslehre verhalten, wie etwa die Chemie zur Kochkunst. Damit will ich in keiner Weise das Kochbuch herabsetzen. Wenn wir uns zu Tisch setzen, wollen wir ein schmackhaftes Gericht, und dazu kann ein gutes Recept viel bessere Dienste leisten als alles Wissen der chemischen Bestandtheile in den zusammen zu rührenden Ingredienzen. Das Beste wird immer des Koches eigner guter Geschmack zur Sache sein. Vielleicht finden Sie Zeit einmal hier und da in das Buch zu sehn, auch Wolf nimmt es wohl 'mal zur Hand. Wir haben früher oft, da er die architectonischen Gesetze untersuchte², ich mit musikalischen beschäftigt war, uns mit gleichen Wahrnehmungen begegnet.