Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Sr Hochwohlgeboren
dem
Herrn Dr Louis Spohr, kurhessischer
Hofkapellmeister
zu
Kassel.
Frey.
München 12/II. 1853.
Hochgeehrtester Herr!
Wenn die Philosophie nicht ausdrücklich den Satz widersprechen würde, „daß man nicht Nichts denken könnte“, so würde ich Ihnen jetzt schreiben: Als ich Ihre lezte Zuschrift durchlesen hatte, dachte ich einen Augenblick Nichts. So nun aber das nicht geht u. ich absolut Etwas gedacht haben muß, so habe ich zweifelsohne gedacht: das Erfreulichste Ihres Schreibens ist mir die Nachricht, daß ich das Wohlwollen eines so großen Künstlers auch fernerhin noch besizen werde!
Und so ist es auch. Es liegt viel Erhabenes u. Tröstendes für mich in dießem Gedanken. Wenn ich nun allerdings mitunter in „träumerischer“ Stimmung bin, so liegt das theilweiße schon in meiner Natur; theils habe ich schon so Vieles erlebt, das mich bei Ihnen deßhalb entschuldigen dürfte. Es wäre mir Nichts unlieber, als der Gedanke, daß Sie mich für einen – um gleich die Sache richtig zu bezeichnen – für einen überspannten Fantasten halten. Mein Gefühl entbehrt der Wahrheit nicht; u. wenn ich auch in neuster Zeit nammentlich eine große Neigung zur Melancholie spürte, so liegt der erste Grund1 immer darin, weil ich vom Kleinen bis zum Großen Wahrheit und Natur überall vermisse. –
Hätte ich in meiner gänzlich einsammen Lage und Lebensweiße nur Jemand – sei es wer und was er wolle – dem ich offen mitunter sagen könnte, was mich freut und schmerzt, so wäre ich immer heiter und zufrieden. Was mir aber nicht selten passirt, ist der Umstand, daß wenn ich zu Jemand eine Art Zuneigung faße, ich in Bälde finde, daß ich mich in seinem Character p.p. Geirrt habe, und Er eigennüzig oder falsch gegen mich war. Bei meinem Unbendigen Innern, bei einem Verlangen nach Mittheilung u. Vertrauen, ist mir ein solches Irren an der bessern Natur ganz fürcherlich, u. verstimmt mich lange Zeit.
Daß ich in solch' gereiztem Zustande mitunter schon gerne auf u. davon – aus der Welt – oder was weiß ich wohin – wäre ist mir bei ruhiger Ueberlegung klar. Doch: sapienti sat2! Daß mir Ihr Wohlwollen deßhalb so lieb u. werth ist, das sehen Sie nun wohl ein, und verzeihen mir deßhalb, daß ich „Ihnen“ mitunter beschwerlich falle mit meiner Träumerei! –
Daß meine großartige und grandios empfundene Ouvertüre bei Ihnen so glänzend durchgefallen ist, während die kleine Imitation ein so schönes Lob dvon getragen hat, – hat mich schon oft in kurzer Zeit heiter gestimmt u. wenn ich irgendwo das Wort: Ouvertüre höre, so möchte ich unwillkürlich lachen. –
Ich glaube, die Ouvertüre hat mich auch konfus gemacht. Daß sie ein ganz trauriges Schicksal erlebt hat, kurirt mich am Ende wieder! –
Jedenfalls wende ich mich jetzt wieder dem Studium allein zu, beobachte Ihren wohlmeinenden Rath und freue mich sehr, wenn ich Ihnen wieder (?) einen ordentlichen Fortschritt beweißen kann. –
Indem ich Ihnen recht herzlich danke für Ihr Schreiben, das zu mancher Einsicht beruhigend auf mich gewirkt – wenngleich die Ouvertüre mich merkwürdig überrascht hat – bitte ich Sie mir in dießem Schreiben Nichts zu verübeln und bleibe
Hochachtungsvoll
der Ihrige
dankbare
Keppner.
Autor(en): | Keppner, Franz Joseph (Sohn) |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | |
Erwähnte Kompositionen: | Keppner, Franz Joseph : Ouvertüre (1853) |
Erwähnte Orte: | |
Erwähnte Institutionen: | |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1853021246 |
Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Keppner, 06.02.1853. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Keppner an Spohr, 05.06.1853.
[1] „Grund“ über der Zeile eingefügt.
[2] „sapienti sat“ = lat. „dem Weisen ist es genug“.
Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (17.10.2019).