Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

München d. 30sten Januar
1853

Hochgeehrtester Herr!

Ihrem Wunsche um zeitweise Nachricht über mein Musikstudium willfahrend, schicke ich Ihnen beiliegende Ouvertüre, und meine soeben vollendete lezte Uebung in den Imitationen. Die Ouvertüre anlangend, so währe ich für meine großen Anstrengungen hinreichend belohnt wenn Sie eine (bisher vermißte) übersichtliche Form, und inneren Zusammenhang fänden. Ist mir aber dies auch noch nicht gelungen, so kann Ihnen doch Nichts über meine Stimmenführung, so wie über die Anwendung des doppelt. Contr.'s mehr Aufklärung geben, als eben diese Ouvertüre, die ohnehin ohne irgend-welche Correction oder fremde Beihülfe, lediglich und nur in meinem konfusen Kopfe gewachsen ist; ja selbst ohne irgend Rücksicht auf bestehende Formen. Aehnelt sie Lezteren auch mitunter, so kommt es daher, weil ich selbst nach allen möglichen Anlagen u. Plänen die innere Nothwendigkeit, (als in der Natur der Sache liegend,) einer solchen Form-Anlage eingesehen habe. –
Ich sage voraus, daß Sie das verstehen, da Sie dies Alles ja auch aus eigener Erfahrung wissen müssen. Ob das Ganze nicht zu unruhig in modulatorischer Hinsicht ist? –
Noch nie habe ich einem Urtheile von Ihnen gespannter entgegengesehen als diesmal! Ist die Ouvertüre kein Kunst-Fortschritt, so kann ich nichts dafür, – soviel ist gewiß: Bin ich mit dieser Composition, in der meine ganze Romantik liegt, (was warscheinlich ihr Fehler) auf keinem Irrwege, so komme ich auch auf keinen mehr. –
Noch habe ich Ihnen die Nachricht mitzutheilen, daß mir Herr Minister v. Marschall, den ich in Karlsruhe am Vorabend des neuen Jahres besuchte, sagte: „ich solle ihm nur schreiben, wenn ich Geld brauche u. Er werde mir für eine weitere Staats-Unterstützung besorgt sein.“ Seine theilnehmende Herzlichkeit hat mich sehr gerührt. –
Die Gemahlin1 des Herrn Director Hauser ist noch im alten Jahre Todt-krank geworden; – erhohlt sich aber wieder so nach u. nach.
Mein Herr Lehrer2 hat mir deßhalb noch immer abgerathen, ihn selbst zu besuchen. Uebrigens ist Herr Hauser schon im Frühjahr 1852 von mir in Kenntniß gesezt worden, und soll damals schon viel Antheil an mir genommen haben! –
Meinem romantischen Gefühls-Leben sind im Großh. Baden wieder ein paar harte Stöße verezt worden, und ich bin mit der Außenwelt zerfallener als je. Ich werde nach vollendeter Bildung, (an der ich so lange wache(?), als ich die Mittel bekommen werde) entweder in ein Kloster gehen, oder meine Laute über den Rücken hängen, Italien, Spannien u. das Morgenland zu Fuß u. ohne Geld durchreißen. Der Mensch ist überall in Gottes Hand, und wenn man Niemand hat, dessen Zuneigung die Welt interessant macht, so ist es ohnehin gleich, wo man ist. Ibi bene ubi patria! Eine eigentliche Heimath habe ich ohnehin nicht, u. stiege ich z.Z. in einem Vagabunden-Anzuge mit meiner Laute auf einen Baum, so habe ich auf der Erde nichts mehr zu suchen! –
Es wird auch für die Hauptsache – d. Kunst – nur förderlich sein, wenn ich ein paar aufbrausende Jugend-Jahre zur Kenntniß der Welt u. der Menschen verwende, oder hinter 4 Mauern über die Kunst ruhig nachdenke. Zudem ist die Natur mein höchstes. Als ich an den Ufern des Bodensees hinmarschirte, war ich erhabener, gefühlvoller und heiterer gestimmt, als ich es je irgendwo oder wann gewesen bin. Kunst u. Natur! – Das romantische Mittel-Alter wäre meine Welt gewesen. Im jezigen Jahrhundert wird mir Alles zu eng. Kommt mir die Romantik nicht entgegen, so gehe ich zu Ihr. Gott ist mir Zeuge, daß ich heiligen Ernst mache! –
Indem ich Sie um Beurtheilung meiner Ouvertüre u. deren Rücksendung bitte, so ersuche ich Sie zugleich, mir recht gut zu bleiben, und mich nicht auch noch zu verlassen. Es wäre dies der Lezte und härteste Schlag, der mich treffen könnte.
Hochachtungsvoll

dankbar ergebener
F. „J.A.“ Keppner.

Zur Adresse:
Türkenstraße No 62/3. St.

Autor(en): Keppner, Franz Joseph (Sohn)
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Hauser, Franz
Hauser, Louise
Maier, Julius Joseph
Marschall von Bieberstein, Adolf
Erwähnte Kompositionen: Keppner, Franz Joseph : Ouvertüre (1853)
Erwähnte Orte: Karlsruhe
München
Erwähnte Institutionen: Konservatorium <München>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1853013046

Spohr



Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Keppner an Spohr, 29.12.1852. Spohr beantwortete diesen Brief am 06.02.1853.

[1] Louise Hauser.

[2] Julius Joseph Maier.

Kommentar und Verschlagwortung, sofern in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Wolfram Boder (11.10.2019).