Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

18 Hanover Street
London
den 4ten Decr 1852.

Verehrtester Herr Doctor!

Ich habe die Ehre, Ihnen im Namen der Directoren der Neuen Philharmonischen Gesellschaft, nehmlich von Seiten des Sir Charles Fox (von der Firma Fox, Henderson & Co, Baumeister des großen Glas-Pallastes) M Peto Esqre Parlaments-Mitglied, T. Brassey Esqre und anderer, den beiligenden Propectus der neuen Philharmonischen Gesellschaft, welche in der letzten Saison in Exeter Hall ihre Aufführungen begann, die nach dem Urtheile sämmtlicher Journale die vollendetsten waren, die jemals hier aufgeführt wurden, mitzutheilen.
Zugleich erlaube ich mir, Ihnen den Wunsch der Directoren mitzutheilen, Sie möchten ihnen die Ehre erweisen, drei von den Aufführungen in der nächsten Saison, die im März beginnt, zu dirigiren.
Indem ich Ihnen in Bezug hierauf die Wünsche der Dirctoren mittheile, bin ich beauftragt, Ihnen die hohe Würdigung, welche dieselbe von Ihrem Talent u. Ihrem hohen Range hegen, auszudrücken u. Ihnen zu erklären, daß indem dieselben Sie als den größten lebenden Componisten u. als eine der größten den Deutschland je hervorgebracht hat, betrachten. Dieselben alles aufbieten wollen, Sie zur Annahme dieses Engagements zu bringen.
Die Directoren sehen sich im Stande, Ihnen zwei Punkte vorzuführen, die Ihre Berücksichtigung wohl werth seyn möchten, welches eine bedeutende pecuniare Renumeration. In Bezug auf diesen Punkt erklären sie, daß wohl keine Summe, die Sie zu bestimmen belieben, ihr zu groß erscheinen werde. – Dann tragen sie Ihnen die Oberleitung über ein Orchester an, welches alle, die man bis jetzt zu bilden vermochte, übertrifft u anerkannter Weise über dem Orchester der Königl. Italienischen Oper so wie aller übrigen Stadt. Ferner die Oberleitung eines Chors, welches nicht aus Dilettanten, wie es in der ”Sacred Harmonic Society“ der Fall ist, sondern aus wirklichen Künstlern besteht. – Das Ganze besteht aus 250. Performanten; über 100 Instrumentalisten, die übrigen Sänger. – Die Directoren erbieten sich ferner, Ihnen so viele Proben zuzugestehen, als Sie für nöthig erachten sollten u. Ihre Symphonien in einem bis jetzt in diesem Lande unbekannten Style aufzuführen; denn noch nie wurden die gehörigen Proben darauf verwandt. Die Directoren haben sehr bedauert, daß Ihre Symphonien bei den großen Musikalischen Aufführungen in diesem Lande zu wenig berücksichtigt wurden; (im letzten Jahre wurde nur Eine Ihrer Symphonien in einem Concerte vorgeführt1) und sie sind überzeugt, daß nur Ihre Gegenwart als Dirigent nöthig ist, um Ihnen die so sehr verdiente Popularität zu verschaffen und die Aufführung derselben in unsern Concerten so unerläßlich zu machen, wie die der andern großen Meister Beethoven, Mendelssohn ec. –
Die Directoren haben die Ehre Ihnen im Vertrauen mitzutheilen daß sie im Begriffe sind, eine Musik-Halle in London zu bauen, welche den Namen ”New Philharmonic Music Hall“ führen solle, sie wird für die Saison 1854 eröffnet werden. Dieses Gebäude wird die größte u. schönste Musik-Halle in Europa seyn und sie wird von den Herrn Fox, Henderson & Co, den Erbauern des großen Crystall-Palastes, errichtet werden u. die Kosten sind auf 50,000 Pfund Sterling angeschlagen. – Um Ihnen anzudeuten, auf welche liberale Weise die Directoren die Concerte während der letzten Saison ausführten, erlaube ich mir, Ihnen im Vertrauen mitzutheilen, daß die Ausgaben für die sechs Concerte 3000 Pf. Sterl. betrugen u. daß der Aufwand für die Aufführung der Choral Symphonie von Beethoven allein sich auf ₤ 500 belief. Das Resultat auf der andern Seite war nach dem markanten Urtheile der Presse ein bis jetzt noch nie erreichtes.
Sollten Ihre Engagements in Cassel Sie verhindern, sich längere Zeit hier aufzuhalten, so hoffen die Directoren Sie könnten es vielleicht so arrangiren daß Sie drei Tage in der ersten Woche des Märzes o. 3 Tage in der dritten Woche des Aprils o. 3 Tage in der zweiten Woche des Juni in London zubrächten. Dieses würde Ihnen für die Aufführung u. für zwei, vier oder mehr Proben Ihrer Werke, je nachdem die Umstände es erheischten, die völlige Zeit gewähren, da alle Arrangements in Bezug auf das Programm schriftlich abgemacht werden könnten.
Die Directoren erlauben sich Ihnen zu bemerken, daß die ”New Philharmonic Society“ mit der seit langer Zeit bestehenden ”Philharmonic Society“ nicht in Opposition ist u. daß im Gegentheil die freundlichsten Beziehungen zwischen beiden Gesellschaften bestehen; denn das Feld iher Wirksamkeit ist im Jahr verschiedenes. Die Philharmonische Gesellschaft, jetzt ”Old Society“ genannt, hält ihre Concerte im Hanover Square Room, nur 6-900 Subscribenten Platz finden u. ihre Liste ist fast ausgefüllt. Die neue philharmonische Gesellschaft dagegen führt ihre Concerte in Exeter Hall auf, welche in der letzten Saison, im ersten jahr ihres Bestehens, von mehr als 3000 Personen besucht wurden.
In der Hoffnung, daß Sie die Vorschläge, welche die Directoren Ihnen zu machen im Stande sind, Ihrer Berücksichtigung werth finden mögen u. daß Sie im Laufe einer Woche vom Empfange dieser Mittheilung an den Empfang dieses Briefes anerkennen u,. den Directoren die Wahrscheinlichkeit angeben wollen, ob Sie wohl im Stande u. geneigt seyen, das Engagement anzunehmen, verbleibe ich denselben mit aufrichtiger Versicherung der vollkommensten Hochachtung

Ihr
unterthänigster Diener
H. Wylde

Autor(en): Wylde, Henry
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Beethoven, Ludwig van
Brassey, Thomas
Fox, Charles
Mendelssohn Bartholdy, Felix
Peto, Morton
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: New Philharmonic Society <London>
Philharmonic Society <London>
Sacred Harmonic Society <London>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852120444

Spohr



Spohrs Antwortbrief vom 14.12.1852 ist derzeit verschollen.
Dieser Brief ist von Wylde nur unterschrieben und wohl auch nicht von ihm selbst übersetzt.

[1] Die 2. Sinfonie op. 49 am 31.05.1852 durch die (Old) Philharmonic Society (vgl. „Philharmonic Society“, in: Musical World 30 (1852), S. 354f.; „Brief Chronicle of the last Month“, in: Musical Times 5 (1852), S. 29).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (06.08.2021).