Autograf: derzeit verschollen
Abschrift: Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel (D-Wa), Best. 299 N Nr. 157 (vgl. Arcinsys, dort verschwunden; Mikrofilm in D-Ksp)
Druck: [Paul Zimmermann], „Louis Spohr und Braunschweig“, in: Braunschweigisches Magazin (1909), S. 109-117, hier S. 116

An Fräulein Rosalie Spohr
Addr. H. Kammerbaumeister Spohr
in
Braunschweig

hierbei ein Paket
Musikalien in blauem Papier
mit gleicher Adresse.


Cassel den 14ten Sept. 1852.
 
Liebe Rosalie,
 
Gewiß rathe ich zu einer abermaligen Kunstreise im nächsten Winter, und zwar nach Holland, wo sich der Sinn für Musik von Jahr zu Jahr vermehrt, und wo in dem reichen Lande auch etwas zu gewinnen ist. Vorher hinzuschreiben, wie Herr Böhm räth, halte ich nicht für nöthig. Die Musikgesellschaften der holländischen Städte stehen sämtlich untereinander in Verbindung. Hast Du in einer gespielt und gefallen, so wirst Du an alle die Übrigen empfohlen.
Beykommend erhälts Du die Musik von Herrn Oberthür, die er uns in London für Dich mitgab.0 Ich lege noch eine Fantasie für Harfe und Violine von mir bey, von der ich nicht gewiß weiß, ob Du sie schon hast.
Mit unserm dießjährigen Aufenthalte in London waren wir sehr zufrieden, obgleich wir sehr viel von der fürchterlichen Hitze zu erdulden hatten. Die Aufführung des Faust im italiänischen Theater von Covent-Garden war eine ganz ausgezeichnete, sowohl von Seiten der Sänger wie des Orchesters und der Ausstattung. Ich leitete die 3 ersten Aufführungen, die, obgleich die Saison eigentlich schon vorüber war, doch außerordentlich zahlreich besucht waren.1 Außerdem hatte ich mich verpflichtet in demselben Theater auch noch ein großes Conzert zu dirigiren, welches aus Kompositionen von mir bestehen sollte. Es wurde auch nach unserer Ankunft 14 Tage lang affischirt, mußte am Ende aber doch aufgegeben werden, weil die Sänger, die an allen freien Tagen Proben von Faust machen mußten, keine Zeit finden konnten um die Gesangsachen für das Conzert einzuüben.2
Das Publikum von London bezeigte mir auch diesmal wieder viele Aufmerksamkeit. Nicht nur bey den Aufführungen des Faust, sondern wo ich mich in einem Conzertsaale blicken ließ, wurde ich mit Aplaudissement empfangen besonders beym letzten Philharmonischen Conzerte, und in Exeterhall, wo mein Oratorium „des Heilands letzte Stunden“ gegeben wurde.3 Ich war aufgefordert worden, diese beyden Aufführungen selbst zu dirigiren, mußte es aber ablehnen, weil ich mich verpflichtet hatte, nur im Covent-Garden-Theater zu dirigiren.
Lebe wohl liebe Rosalie und grüße Vater und Schwester auf das herzlichste. Von Herzen
 
Dein Dich liebender Onkel L. Spohr.

Da ich eben bei Durchlesen dieses Briefs ausdrückliche Grüße von mir vermisse, so erlaube ich mir, solche selbst hinzuzufügen, weil es mir doch an Zeit fehlt, nur Dein freundliches Briefchen an mich noch besonders zu beantworten.
Deine Dich herzlich liebende Tante
Marianne.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Spohr, Rosalie
Erwähnte Personen: Böhme, Ferdinand
Oberthür, Charles
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Faust
Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Erwähnte Orte: London
Erwähnte Institutionen: Covent Garden <London>
Philharmonic Society <London>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852091400

Spohr




Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Rosalie Spohr an Louis Spohr. Der nächste überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Louis Spohr an Rosalie Spohr, 11.11.1852, aus dem sich noch ein derzeit verschollenener Brief von Rosalie Spohr an Louis Spohr erschließen lässt.

[0] [Ergänzung 26.04.2023:] Vgl. Charles Oberthür an Louis Spohr, 19.07.1852.

[1] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheinträge 15., 17. und 20.07.1852.
 
[2] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag, 15.07.1852.
 
[3] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag, 05.07.1852.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (02.06.2017). Zunächst nach Druck ediert; nach Abschrift neu kollationiert (19.07.2023).