Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hildburghausen d. 2 Septemb 1852.

Hochwohlgeborner Herr!

Recht sehr um Verzeihung muß ich bitten, daß ich erst jetzt Ew. Hochwohlgeboren meinen ganz ergebensten Dank für Ihr letztes mir so unschätzbares Schreiben sage, es lag aber weder eine Nachläßigkeit noch Vergessenheit von mir zu Grunde, sondern die Ursache davon ist, daß ich durch Erkältung oder Aerger kurz nach den Empfang Ew. Hochwohlgeb. geehrten Schreiben, mir eine Krankheit zugezogen hatte, in deren Verlauf ich mehrere Monate das Betthüten mußte und erst vor Kurzen meine vollkommene Gesundheit wieder erlangte.
Obgleich ich mir selbst sagen muß, daß Ew. Hochwohlgeboren durch mein Geschreibsel nur belästigt und Ihrer kostbaren Zeit beraubt werden, so ist doch meine Achtung und Liebe zu Ew. Hochwohlgeb. zu groß, als daß ich es unterlassen könnte, Sie meiner innigsten Theilnahme an den Kummer und Aerger, den Ew. Hochwohlgeboren durch das unverantwortliche Benehmen des Kurfürsten auferlegt wurde, zu versichen; Jeder Fürst der Kunstsinn hat, würde sich glücklich schätzen, wenn er einen solchen Juwel in seinem land haben könnte, und alles aufbieten, um den ersten Tondichter und Künstler der Welt das Leben zu verschönern und angenehm zu machen, aber von dieser Seite ist freilich das nicht zu erwarten und minder auffallend. Es ist von Anfang der Welt her das Schicksal großer und hervorragender Geister gewesen, von kleinen Subjecte getreten und mißhandelt zu werden, wodurch ihr Ruhm aber immer mehr befestigt wurde. Beethoven sagte, Kaiser und Könige können wohl Tittel und Orden austheilen, aber keine großen Geister machen, das müssen sie wohl bleiben lassen. – Daß Ew. Hochwohlgeboren in dieser unangenehmen Sache den Sieg davon getragen haben, glaube ich um so mehr versichert zu sein, da ich erst vor wenigen Tagen, in verschiedenen Zeitungen gelesen habe, daß im vorigen Monate Ew. Hochwohlgeboren Faust pp in London unter Ihrer eignen Direction mit so großen Beifall aufgeführt und die nicht leicht zu rührenden Engländer ganz davon bezaubert wurden, folglich konnten Ew. Hochwohlgeboren nicht abgehalten werden Ruhm und Ehre im Ausland einzuärndten und der klassischen, deutschen Musick, so wie zu seiner Zeit Mozart gethan, den Vorzug zu sichern. Die musicalische Welt hat überigens durch das Betragen des Kurfürsten von Hessen nur gewommen, da es nach Ew Hochwohlgeboren geehrten Schreiben verursachte, daß Sie sich mit um so größern Eifer auf das komponiren legten und nunmehr gewiß wieder mehrere vortreffliche, unschätzbare Werke aus Ew. Hochwohlgeboren Feder geflossen sind: Wenn ich nur so glücklich wäre, noch einmal in meinen Leben, eines der größeren Werke Ew. Hochwohlgeb. von dem Meister selbst dirigirt hören zu können, dürfte ich wohl bitten, daß Sie die Gewogenheit haben, mich, wenn Sie über kurz oder lang einmal eine solche Aufführung veranstalten, davon in Kenntniß zu setzen; hier ist es uns leider mit unsere geringen musicalischen Kräften nicht mehr möglich, etwas anderes als höchstens sein Quartett oder Trio, so wie Klavier Sonaten zu spielen; so wie ich in Erfahrung bringe, wo die neuen derartigen Werke von Ew. Hochwohlgeboren hausekommen, werde ich sie mir sogleich verschaffen.
Noch nehme ich mir die Freiheit, Ew. Hochwohlgeboren einiges in Betreff meines, im vorigen Jahr nach Amerika abgereisten Sohnes1, an den Sie immer so väterlich handelten, mitzutheilen. In seinem Brief aus Baltimore vom 20 März d. J., worinn er sich Ew. Hochwohlgeboren auch bestens empfehlen läßt, schreibt er mir, daß er wenige Tage nach seiner Ankunft in Baltimore bei H. Lucas, einem sehr reichen Engländer, bei dem ihn sein Bruder2, mein jüngerer Sohn, der schon über 5 Jahre in Amerika ist, eingeführt hatte, zum Quartettspielen eingeladen worden sei und viel Beifall gefunden habe, bei diesen Lucas würden schon über 24 Jahre wöchentlich einmal Quartetten gespielt und hätten schon alle bedeutende Künstler, die in Baltimore gewesen, dort gespielt, z. B. Vieuxtemps, Ole Bull, Knop aus Meiningen u.s.w. bei diesen Quartettverein würden aber keine andere als Spohrsche, Beethovensche, und Onslowsche Quartetten gespielt, dieser Lucas hat meinen Sohn die Leitung seiner Quartettmusick übertragen, auch ist er noch bei 2 andern Vereinen Dirigent, und hat sich bei einer katholischen Kirche als Organist anstellen lassen, wofür er jährlich 200 Dollar und für jede Totenmesse noch extra 1. D. erhält, und den Sontag blos 2 mal zu spielen hat, er versichert mir, daß er sich sehr gut stehe und es nicht bereue dorthin gegangen zu sein, wenn er erst mit der englischen Sprache mehr vertraut sei, werde er sich auch mit Stundengeben viel machen können, da ihm jede Stunde mit 1 D. bezahlt würde, auch mein jüngerer Sohn, der als Kaufmann gelernt hatte und sehr wenig musicalisch war, verdient sich drüben nur mit Musick, indem er Unterricht auf Klavier und Violin giebt, sein Brod und befindet sich sehr gut. Länger noch Ew. Hochwohlgeboren mit meinem Geschreibsel zu belästigen, will ich nicht wagen. Ich hege die gewisse Hoffnung, daß Ew. Hochwohlgeboren sich mit dero Frau Gemahlin in besten Wohlsein befinden, und wünsche von Herzen, daß der Himmel sei noch viele Jahre gesund erhalten möge, bitte gehorsamst, mir diese abermalige Belästigung zu verzeihen und habe die Ehre mit ausgezeichneter Hochactung zu verharren

Ew. Hochwohlgeboren
ganz ergebenster Diener
Carl. Mahr.

Autor(en): Mahr, Johann Christian Carl
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bull, Ole
Friedrich Wilhelm Hessen-Kassel, Kurfürst
Knoop, Georg
Lucas (Baltimore)
Mahr, Johann Carl Sebastian
Mahr, Louis
Vieuxtemps, Henri
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Faust
Erwähnte Orte: Baltimore
London
Erwähnte Institutionen: Covent Garden <London>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1852090240

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Mahr an Spohr, 30.12.1851. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Mahr an Spohr, 30.12.1853.

[1] Johann Carl Sebastian Mahr.

[2] Louis Mahr.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (09.05.2022).